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Mittwoch, 24. Oktober 2012

Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bewerbe ich mich um...


Mit dem Abgeben meiner Diplomarbeit beginnt das große Warten. Auf die Note. Auf das Abschlusszeugnis. Auf die Zukunft. Da sich während des Wartens eine relativ große Leere in meinem Leben auftut, überlege ich mir, wie ich sie sinnvoll füllen kann.

Auf Platz eins der empfohlenen Tätigkeiten nach Beendigung eines Studium steht die erfolgreiche Bewerbung. Davor habe ich Angst. Ich habe mich schon oft beworben. Bei Starbucks. Bei potentiellen Mitbewohnern oder um ein unbezahltes Praktikum. Bis jetzt auch immer irgendwie erfolgreich. Aber ein richtiger Job bietet Potential zum Gruseln. Ich rufe meinen abgespeicherten Lebenslauf im pdf- Format auf. Der gute alte Freund wurde immer mal wieder aktualisiert und hat mir immerhin ein Stipendium und eine Diplomarbeit in Kopenhagen beschafft. Jetzt sieht er allerdings aus wie eine mehlige, alte Kartoffel. Langweilig und ungesalzen. Mehr Pepp muss her, würde der Personalleiter sagen. 

„ Die Bewerber müssen sich durch einen individuell gestalteten Lebenslauf hervorheben“. 

Na klar, nachdem uns zu enge Studienordnungen, Bafög- Pläne oder andere Erwartungen der zielorientierten Gesellschaft dazu zwingen, alle das gleiche zu studieren und das gleiche zu machen, uns gleich zu kleiden und die gleiche Meinung zu haben,  sehen folgerichtig alle unsere Lebensläufe gleich aus. Daher ist wohl das Design entscheidend. Macht Sinn, denke ich mir und bin ein bisschen traurig, weil ich kein Pausen-Semester für eine Zirkuskarriere oder eine Weltumsegelung eingelegt habe. Dann hätte ich jetzt was zu berichten.

Drei Stunden lang bastele ich mit Office- Word an meinem fetzigen, individuellen Design. Ich setze „Liebe zum Detail“, „Exzellente MS Office- Kenntnisse“ und „hochmotiviert“ auf meine Liste der besonderen Eigenschaften. 

Der Personalleiter empfiehlt auch, seine eigenen Stärken hervorzuheben und bei den einzelnen Stationen des Lebenslaufs herauszuarbeiten, welche Fähigkeiten man sich angeeignet hat. 

„Der Bewerber muss unbedingt betonen, was er in die Firma einbringt und welch ein Gewinn er für die Firma darstellt“

Hm denke ich, "Liebe zum Detail" und "hochmotiviert" trifft wohl auch auf 75% der Deutschen zu. Ich weiß nicht mehr weiter. Ich denke mir ein paar lustige „Persönliche Interessen“ aus und spinne mir im Kopf zusammen wie man in meinem Bewerbungsgespräch bei einem etablierten Pharma- Unternehmen über mein liebstes Puzzle- Motiv diskutiert.

Ich finde, wenn das eigene Leben auf maximal zwei DINA4- Seiten herunter gebrochen wird, ist es schwer sich aus der Masse hervorzuheben. Jeder war im Ausland und spricht hundert Sprachen. Jeder integriert sich schnell, arbeitet strukturiert und selbständig, ist jedoch trotzdem teamfähig. Auf jeden Fall behauptet es jeder. Ist es einzig meine liebevoll gestaltete rote Überschrift, die mich von anderen Bewerbern unterscheidet? Vielleicht sollte ich meinen Lieblingssong als mp3 mitschicken oder ein gutes Rezept für Kohlrouladen? Das würde im Gedächtnis bleiben.

Am Ende des Tages habe ich immernoch meinen einen Null-acht-fühnfzehn Lebenslauf mit Schwarzweißfoto und den Höhepunkten meiner akademischen und beruflichen Karriere in chronologischer Reihenfolge.  Der rote Knaller-Lebenslauf, der mich als hochmotivierten Ingenieur mit „excellent skills“ in allem Möglichen darstellt, bietet die zweite Option. 

Da ich unentschlossen bin, welchen Entwurf ich wählen soll, mache ich das, was ich im Moment am besten kann: warten.


Donnerstag, 2. August 2012

Pilze suchen für Anfänger


Viele nicht mehr ganz nachzuvollziehbare Zusammenhänge führten dazu, dass ich für meine Diplomarbeit hauptsächlich mit der Fermentation von filamentösen Pilzen beschäftigt bin.
Für die Glücklichen unter euch, die sowohl mit dem einem, also auch mit dem anderen nichts anfangen können, hier eine kurze Einführung:
Filamentöse Pilze sind die Pilze, die flauschig auf unserem Brot wachsen, wenn wir es zu lange in der Sonne vergessen haben. Sie sind oft grün oder weiß- im Badezimmer zwischen den Fugen auch gerne mal schwarz. Mein Pilz heisst Aspergillus niger, und schimmelt, lässt man ihn ungestört wachsen muffelig schwarz vor sich hin.
Ein Fermentor benutzt man, um in kurzer Zeit viele Pilze unter klar definierten Konditionen (Temperatur, Druck, pH-Wert) heranwachsen zu lassen. Er besteht aus einem Glasgefäß und unzähligen Pumpen, Schläuchen und kleinen Geräten, die sehr sensibel sind und präzise bestimmte Dinge, z.B. die Temperatur messen sollen, dieses aber nur selten präzise tun. In modernen Laboren kann man auch die Luft analysieren, die aus dem Fermentor heraus kommt und feststellen, welche Gase im Fermentor produziert werden. Hoffentlich CO2 denn das bedeutet, dass der Pilz wächst. Hoffentlich nicht Methan, denn dann riecht es unangenehm und etwas läuft verkehrt. 
Wirft man nun sein schimmliges Brot in Form einer konzentrierten Pilz-Lösung in einen Fermentor, zusammen mit ein bisschen Zucker, einigen Mineralsalzen und Wasser, dann besteht die Chance, dass nach 24h viele quick lebendige Pilze darin herum schwimmen und nützliche Dinge produzieren, z.B Zitronensäure. Wenn man den pH-Wert verändert, formen sich kleine oder große Pilzfamilien, die dann mehr oder weniger Säure produzieren. Am allerliebsten sollte der Pilz aber Proteine herstellen, die man dann für viel Geld an die Industrie verkaufen kann. Das ist allerdings etwas schwierig, da niemand so genau weiß, unter welchen Bedingungen die meisten Proteine produziert werden.
Viele kluge Menschen gehen nun ins Labor und schalten wie wild Gene an und aus und hoffen, dass dadurch die Proteinherstellung angekurbelt wird. Oft passiert gar nichts oder etwas, was niemand erwartet hat. Selten entstehen große Mengen an Proteinen.
Daher teste ich der Reihe nach unterschiedliche Pilz-Mutanten um rauszufinden, welcher von ihnen hinsichtlich der Proteinherstellung ein richtiger Bringer ist. 
Das kostet Zeit und Nerven. Und Geld. Eine Fermentation dauert 4 Tage. Die Vorbereitung dauert 2 und die Reinigung einen Tag. Die Analyse der ganzen Daten sowie weitere Versuche im Anschluss dauern mindestens eine Woche. Wenn man sechs Fermentoren startet, gehen min. 2 im Laufe des Versuchs kaputt, da irgendetwas nicht stimmt, eine Pumpe nicht funktioniert oder die Temperatur-Regelung ausfällt.  Mindestens einer der Fermentoren ist kontaminiert, d.h. es wächst neben dem Pilz noch etwas anderes was die Ergebnisse verfälscht. 
Im Klartext: Wenn man gut ist, kann man von den sechs Fermentoren drei heil ans Ende des Experiments bringen. 
Wenn es um die Wahrscheinlichkeit von Erfolg geht, arbeitet die Fermentation gegen mich. Ich habe schon 6 Wochen lang versucht optimale Bedingungen für meinen kleinen Pilz zu schaffen und habe vielleicht 3 auswertbare Versuchsreihen. Von riesigen Mengen an Proteinen ist am Horizont weit und breit nichts zu sehen.
Dabei ist es eigentlich nicht so schwer. Wenn man alle der 250 notwendigen Schritte zur Vorbereitung, sowie die restlichen hundert während des Experiments genaustens befolgt und sich dann auf die einwandfreie, moderne und gut gewartete Ausstattung des Labors verlassen kann, kann eigentlich nichts mehr schief gehen.
Wie gesagt: 3 auswertbare Versuchsreihen.
Nächsten Montag starte ich die nächste Runde. Ich habe alle 250 Schritte mit verschieden farbigen Stiften auf ein Blatt Papier geschrieben und noch unterstrichen. 
Hoffentlich, ist diesmal die Wahrscheinlichkeit auf meiner Seite.

Dienstag, 24. April 2012

shiny happy people

In Dänemark sind alle Menschen glücklich. Immer. Sie sind gesund, haben keine Selbstzweifel und kennen Gefühle wie Neid und Misgunst nur aus deutschen Filmproduktionen. Das Leben der Dänen ist perfekt geplant und nie geht etwas schief. Jeder ist gut gelaunt, vermutlich weil sie genau wissen, was sie erwartet.

Jeden Tag wird bei mir im Institut gemeinsam zu Mittag gegessen. Alle essen Punkt 12 Schwarzbrot mit fettreduziertem Belag und Gemüse. Man sitzt gemütlich zusammen und unterhält sich. Ich höre meistens nur zu und esse wahlweise eine Heiße -Tasse von Maggi, ein Stück Pizza von gestern Abend (nicht selbstgemacht) oder wenn es ganz hart kommt ein Brot mit Nutella. Die in etwa gleichaltrigen Mitessen tauschen sich über ihre Alltagssorgen aus. Sie sind alle verheiratet oder verlobt, bereits Mutter oder Vater und in Besitz einer Eigentumswohnung mit mehr als 100 Quadratmetern. Ich lebe mir meinem Freund auf 55 Quadratmetern zur Untermiete. Niemand scheint finanzielle Sorgen oder Zukunftsängste zu kennen, denn alle nehmen freudig Kredite auf und überlegen sich einen Staubsauer- Roboter zu kaufen. Na klar doch.

Auch in der Freizeitplanung sind die Dänen mir überlegen. Nach ihrem 10h- Tag im Labor radeln sie fröhlich nach Hause zu ihrer Eigentumswohnung mit Südbalkon um dann frisch und munter noch 13 km zu joggen- da das Wetter ja so schön ist. Nach 7 km radeln trinke ich ein Bier an unserem französischen Fenster und schaffe es gerade mal unter die Dusche und wieder zurück auf das Sofa.

Ich fühle mich manchmal fehl am Platz in Dänemark. Weil ich oft schlechte Laune habe, gelegentlich schwarz fahre und meine Pfandflaschen wegschmeiße. Die Super-Dänen machen mir Angst, es muss doch auch welche mit schlechten Eigenschaften gebe?. Warum wirken sie oft so überlegen, als wüssten sie es besser? Das, mit dem Leben.

Selbst auf der Straße geben mir Dänen das Gefühl, ich würde etwas falsch machen. Zum Beispiel auf der falschen Seite des Gehwegs gehen oder auf den falschen Sitzen in der U-Bahn sitzen. Deswegen immitiere ich so gut es geht, was die Dänen machen- um nicht aufzufallen.

Das Beachten und Befolgen von allmöglichen Regeln und Lebensentwürfen ist mir neu. In Berlin macht jeder was er will. Wenn hier das Gesundheitsamt findet, die Dänen sind zu dick, gibt es eine neue Steuer auf fetthaltige Produkte- und niemand beschwert sich.

Vielleicht muss man sich in einem kleinen Land an den großen Plan halten? Dänemark ist wohl kein Land für Individualisten.

Dienstag, 3. April 2012

Gut gegen Nordwind

Mit jeder neuen Jahreszeit beginnt ein neuer Abschnitt. Ich als Fan von kultureller Abwechslung beginne diesen in einem nördlich gelegenen Nachbarland, welches die EU- Bestimmungen zur Immigration etwas weitläufiger interpretiert. Dafür ist Dänemark sehr fortschrittlich, wenn es um die Gewinnung von Windenergie geht. 
Vor dem Umzug ins neue Heimatland gibt es eine Brückenphase im Heimathafen. Da die alte Wohnung schon weg ist, bieten Mama und Papa Unterschlupf im alten Kinderzimmer. Zwischen dem Meerschwein, gemütlichen Tatort- Abenden, Kaffee und Kuchen, der Badewanne sowie Sonntagsspaziergängen vergisst man schnell den Ernst des Lebens und ist wieder 15 Jahre alt. Dann fällt man aus allen Wolken, wenn man auf einmal nicht mehr von Papa geweckt wird und Lebensmittel wieder selber einkaufen und zubereiten muss. Eine solche Zeitreise ist sehr empfehlenswert, sollte jedoch abgebrochen werden, bevor Diskussionen über das Outfit, den gerade aktuellen, coolen Kifferfreund, Bereitschaft zur Mithilfe im Haushalt oder Zensuren aufkommen. Also breche ich nach 3 Wochen mit friedlicher Grundstimmung modisch, aber stilvoll gekleidet auf in den Norden.
Die Dänen empfangen mich mit offenen Armen und ich darf als EU- Bürger erst einmal eine „residence permit“ beantragen. Hoffentlich darf ich bleiben. Man benötigt nur einen Nachweis, dass man über unbegrenzte finanzielle Mittel verfügt und schon ist man willkommen. Ich fühle mich allerdings etwas seltsam zwischen all den anderen „Immigranten“, die offensichtlich keine Mutter haben, die dafür bürgt den monatlichen Minimalbetrag, der in Dänemark zum Leben benötigt wird, zu überweisen. Zum Glück ist meine Mutter Beamtin, das finden potentielle Vermieter auch immer klasse.
Hat man den Immigrations- Schock erst einmal überwunden, bleibt Zeit, Dänemarks positive Attribute näher unter die Lupe zu nehmen. Es gibt ein flächendeckendes Netz sehr breiter Fahrradwege und allerdings auch 20 verschiedene Regeln, die man beachten muss, sonst gibt es hohe Geldstrafen zu zahlen. In Berlin fahre ich immer ohne Licht und ohne wild zirkulierende Armbewegungen, die anzeigen, dass ich den Gang wechsel. Ich habe nicht einmal verschieden Gänge. Ich bin gespannt, wie lange ich ohne Katzenaugen und selbst reflektierenden Reifen mit beiden Händen am Lecker der dänischen Polizeit entwischen kann.
Außerdem gibt es super Angebote in Supermärkten, sodass man 7 Packete Pasta zum Preis von 4 kaufen darf. Man muss sich nur gut überlegen, wo man die Pasta lagern wird. Ich habe mir schon verschiedene Rezepte für Lasagneblatten, dreifarbige Spirellinudeln oder Makkaroni ausgedacht, denn es ist sogar möglich unterschiedliche Pasta-Arten miteinander kombinieren. Mein deutsches Sparer-Herz schlägt höher.
Bald ist die erste Woche um. Aufgrund der hohen Preise für öffentliche Verkehrsmittel fahre ich jeden Tag mit meiner Möhre von Fahrrad 13 km zur Arbeit. Danach freue ich mich auf einen Teller gesunde Vollkornspaghetti und eine Folge dänischen Psycho-Krimi. Hoffentlich kommt meine „residence permit“ bald, dann darf ich als Immigrant einen dänischen Sprachkurs belegen.
Vi snakkes ved.

Freitag, 10. Februar 2012

The chemicals between us.

Gestern habe ich mir einen Vortrag über Kupfer-Aluminium-Bor Katalysatorensysteme angehört.
Dafür bin ich extra nach Dahlem an das Fritz-Haber-Institut gefahren. Mein Freund hat dort monatelang mit Elementen gebastelt und durfte nun seine Abschlusspräsentation halten. 
Ungefähr 10 Leute sitzen in einem Raum. Einer von ihnen ist der sympatische Fachgruppenleiter im grün-blauen Ringelshirt, der unkonventionell den „Kupfer-Tag“, bestehend aus verschiedenen Präsentationen über Kupfer-Experiemente, einleitet. 
Dann gibt es noch den nicht so entspannten Direktor des Instituts- ganz in schwarz gekleidet mit Bauchtasche. Er hat schon nach 5 Minuten Einleitung, Fragen und Anmerkungen die uns die nächsten 30 Minuten lang überrollen . Er wird nicht gerne unterbrochen, unterbricht aber ansonsten jeden. Falls es jemals zu so etwas kommt, möchte ich beim Paddelausflug des Instituts nicht mit ihm in einem Kahn sitzen.
Ansonsten gibt es neben einer Reihe relativ unscheinbarer Chemie-Doktoranden und Doktorandinnen noch den obligatorischen Inder in Hemd und Kravatte. 
Als ich ankomme, schmuggele ich mich irgendwo an den Rand des Raumes. Ich hoffe, dass mich niemand bemerkt.  Ich bin ja eh nur zum Daumendrücken gekommen. Just in dem Moment fällt dem Ringelshirt auf, dass einige unbekannte Gesichter in der Runde seien-ich- und er läd zur allgemeinen Vorstellungsrunde ein. Ich fange an zu schwitzen, da mir partout nicht einfallen will, wie ich professionell meine Anwesenheit erklären könnte. Als ich an der Reihe bin, stammele ich etwas von allgemeinem Interesse an neuartigen Kupfer-basierten Katalysatoren und schäme mich. Niemand lacht. Der Inder nickt anerkennend.
Es geht los. Der Vortrag meines Freundes beeindruckt mich zutiefst, auch wenn ich kein Wort verstehe. Es gibt aber eine Menge toller Graphen und Bilder mit dem Elektronenmikroskop. Der Inder macht sich eifrig Notizen. Alle anderen auch. Also hole ich meinen Stift heraus und schreibe auf ein leeres Blatt: Tomaten, Salat, Milch und Eier- ich muss eh noch nachher zu Kaufland. Danach lege ich den Stift quer auf das Papier und hoffe, das keiner der pfiffigen Doktoranden meine geheimen Notizen entschlüsseln kann.
Am Ende des Vortrags wird um Fragen gebeten. Ich überlege, ob die Frage, „warum man überhaupt Kupfer nimmt und wie man das rausgefunden hat, damals“, als zulässig gilt und entscheide mich dagegen. Statt dessen setzte ich „Jägerschnitzel“ auf die Einkaufsliste und tausche mich über „Whats app“ mit meiner Freundin in der Berlinale-Kartenschlange aus. Der Inder hat viel zu sagen und auch die Bauchtasche findet alles höchst interessant und schlägt NMR als weitere Analysemethode vor.
Ich bin erleichtert, da ich weiß, was NMR bedeutet.
Als der nächste Vortrag beginnt, schleiche ich mich heimlich aus dem Raum und suche eine Toilette auf, auf der bestimmt schon viele kluge Chemikerinnen waren. 
In der S-Bahn auf dem Weg zurück ins normale Berlin, fällt mir auf, dass wir doch in einer verrückten Welt leben, wo sich Menschen, sehr lange mit Cu2Al6B4O17 beschäftigen wollen. Ich denke hingegen über eine leckere Panade nach und wiederhole im Geiste die Unterschiede zwischen eukaryotischer und prokaryotischer mRNA-Translation. 
So hat jeder sein Steckenpferd.

Donnerstag, 26. Januar 2012

Der gute Norden

Mein Freund ist Däne und glaubt daher in das Gute im Menschen.
Er findet es gut, dass ich GEZ bezahle und kauft sich jedes Mal einen Fahrschein, wenn er die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt.
Er ist der Meinung, dass sich Menschen generell auch an mündliche Vereinbarungen halten, gefundene Geldbörsen abgegeben werden und wenn 500g auf der Vitalis-Müsli Packung steht, auch 500g drin sind.
Ich bin fest überzeugt, dass mir jemand mein Portemonnaie aus der Tasche klaut, wenn ich sie offen lasse. Selbst bei einer schriftlichen Zusage, rufe ich an, um mich zu überzeugen, dass kein Irrtum vorliegt. Wenn die 500g Vitalis-Müsli Packung bei Kaufland im Angebot ist, muss was mit dem Müsli nicht stimmen und die GEZ ist sowieso nie zufrieden und schickt einem trotzdem noch Briefe, selbst wenn man den Maximalbetrag brav jeden Monat überweist. 
Ich bin misstrauisch. Mein Freund nennt es zynisch. Ich denke, es ist realistisch.
In Dänemark tragen Professoren Sandalen und Cordhosen, helfen dir beim Umzug und sogar beim Studium. Die Menschen sind nett zueinander. Sie sind gesünder, weil sie sich weniger Ärgern. Alle fahren Fahrrad, Studenten werden finanziell unterstützt und junge Mütter werden bei Einstellungsgesprächen nicht benachteiligt. 
Dänemark klingt wie ein Land, in dem es jeden Tag Granny Smith Äpfel umsonst gibt und sich alle an den Händen halten. 
Manchmal bin ich neidisch. In Berlin treten sich alle gegenseitig auf die Füße und ziehen sich an den Haaren. Meine Dozenten tragen Borussia Dortmund T-Shirts und sind die meiste Zeit über gemein. Um genug Geld zu haben, mache ich nach der Uni Latte Macchiatos für Leute mit genug Geld und schreibe, weil zu wenig Zeit zum Lernen, schlechtere Noten bei den gemeinen Professoren. Die Leute am DB-Schalter sind immer unfreundlich und durch das ganze Ärgern über die deutsche Unfreundlichkeit, bekomme ich unreine Haut.
Das würde mir in Dänemark nicht passieren, obwohl es im dänischen nicht einmal das Wort "bitte" gibt.
Mein Freund ist stolz, Däne zu sein. Ich mache mich heimlich darüber lustig, stecke aber trotzdem Dänische Fähnchen in die Topfpflanze in der Küche. Niemals würde sich eine deutschte dazugesellen.
Sind die Dänen so nett zu ihrem Land, weil es nett zu ihnen ist?
Und woher kommt dieser Urglaube an das Gute? In der dänischen Welt gibt es immer eine Lösung, und wenn ich schon panisch, die Katastrophe erahnend im Dreieck springe, macht meint Freund sich „Aftenskaffe“ (Abends um neun gibts immer nochmal Kekse) und meint genüsslich knuspernd: „ Das wird schon!“.
Das verrückte ist: Es wird immer.
Nur wer an Regen glaubt, wird Regen kriegen?
Ich wünsche mir ein bisschen mehr skandinavische Lebenseinstellung sowie ihren Geschmack für Inneneinrichtung und Gebäck.
Außerdem haben sie gute Kriminalserien.Irgendeine dunkle Seite gibts ja doch immer. 

Sonntag, 15. Januar 2012

Januar

Der Januar an sich ist der seltsamste Monat im Jahr. Das Jahr ist erst 2 Wochen alt, trotzdem habe ich das Gefühl, es geht schon ewig. Mein Kalender aus 2011 hängt noch, und wenn ich mich bezüglich der Wochentage an Dezember 2011 orientiere, um Pläne für Januar 2012 zu machen, führt das nur zu Verwirrungen.
Ich habe in diesem Jahr schon eine neue Wohnung gefunden und meine alte vermietet. Eine Reise gebucht und ein neues Telefon gekauft. Ich war erst einmal essen, dafür schon 3 Mal betrunken. Ich habe einen Vortrag über Brustkrebs-Assoziierte-Gen-Mutationen gehalten und wurde dabei einmal von von meinem Professor sehr unhöflich unterbrochen. Ich habe noch nicht geweint, aber schon am Kopf geblutet. 
Wenn man eine kurzzeitige Jahresbilanz aufstellt, gewinnen kleine Dinge mehr an Bedeutung. Müsste ich das Highlight 2011 benennen, kostet mich das Mühe aus allen großartigen Erlebnissen, das fetzigste auszuwählen, bzw. aus all den lahmen Erinnerungen, diejenige heraus zupicken, die mich am wenigstens als eine einsame Langweilerin darstellen lässt. (Best of 2011- Harry Potter Teil 7 im Kino und sogar in 3D). 
Bei 2012 hingegen ist es leicht. Einige Erlebnisse liefern sich einen harten Konkurrenzkampf: „Ich habe beim Triomino gewonnen“ oder „ich kaufe 2 Paar Schuhe bei Görtz im Sale“. 
Ein Jahreswechsel allein macht mich nun auch nicht zu einer spannenderen Person.
No-Go des Jahres 2012: Ich lasse mein Kleid für die Silberhochzeit meiner Eltern weiter nähen. Ein sehr trauriger Moment. 
Egal, diese kleinen Mist-Erinnerungen habe ich am Ende eh vergessen. 
Dabei sind das eigentlich die schönen.

Im Januar vor einem Jahr saßen mein Freund Richard und ich im verschneiten Kanada auf meinem Wohnheimsofa.
Im Januar vor zwei Jahren, bin ich gerade mit meiner Freudin Julia aus Istanbul zurückgekehrt und habe mir dort zwei rote Fäustlinge mit Herzen gekauft, die mich durch den Winter 2010 gerettet haben.
Im Januar vor drei Jahren habe ich mir einen Pony schneiden lassen.
Im Januar vor vier Jahren war ich nachts mal einer Zahn-Notklinik.
Der Januar ist der Monat der kleinen Erinnerungen. Der Zahn ist mittlerweile heil, die Fäustlinge verloren. Der Pony ist rausgewachsen und ich bin froh, dass es diesen Winter nicht schneit. 
Der Januar geht meistens unter, in der Jahresbilanz. Meistens ist es der beschissenste, der härtest, der einsamste, der kälteste und der langweiligste Monat des ganzen Jahres. Man hat zwar noch viel Geld von Weihnachten, will sich aber nichts kaufen, da man noch eine Hosengröße zu viel trägt. Man hat keinen Urlaub, und selbst wenn ist in allen bezahlbaren Urlaubszielen auch schlechtes Wetter. Alle Serien machen Winterpause.
Daher setze ich mir zum Ziel, den Januar erinnerungsmäßig aufzuwerten. Irgendwas Tolles muss noch passieren in den nächsten 2 Wochen. Sonst wird der Januar 2012 wieder vergessen. Das wäre schade.