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Freitag, 29. Juli 2011

Another sunny day

Es gibt Tage, da hasse ich Berlin.
Diese Tage beginnen meistens sehr früh und es regnet. Obwohl eigentlich Sommer ist, stelle ich die Heizung an und koche Kaffee. Ich muss um kurz nach Acht im Labor sein und bin hundemüde. Das Licht, das in die Küche fällt ist grau und schummrig. Der Wetterbericht im Radio macht mir auch nicht viel Hoffnung für die nächsten Tage.
Beim Schmieren meiner Brote stelle ich fest, dass die Leberwurst verschimmelt und die Butter alle ist. Ich schmiere mir einen Toast mit Nutella und sippe lustlos an meinem Kaffe.
Beim Zähneputzen kleckere ich mir Zahnpasta auf meinen Pullover und kaum unten an der Treppe, muss ich noch einmal zurückgehen, da mein Portemonnaie mit Fahrschein noch oben auf dem Schreibtisch liegt.
Ich bin mäßig gut gelaunt. Es gießt immer noch in Strömen und mein Schirm ist kaputt. Die eine Ecke hängt traurig herunter und der Schirm sieht aus wie ich mich fühle.
Die erste U-Bahn fährt mir vor der Nase weg und in der zweiten riecht es muffig nach nassem Hund. Außerdem gibt es keinen Sitzplatz. Eingepackt in Regenjacke, beginne ich in der U-Bahn zu schwitzen wie in der Sauna. Am Alex angekommen, will ich sofort wieder nach Hause, mich umziehen.
Aber es geht weiter in die U8. Eng gequetscht stehen wir alle im Waggon. Der Herr mittleren Alters mit dem dicken Bauch haucht mir seinen Kaffee-Atem ins Gesicht. Kurz darauf werde ich noch etwas mehr gegen das Fahrrad einer Frau gedrückt, als sich der Musikant mit dem Akkordeon durch die Waggon quetscht. Die Fahrrad-Frau quatscht lauthals in ihr Handy und der Musikant hält mir seinen Plastikbecher mit Münzen vor die Nase. So laut kann ich meinen Ipod gar nicht stellen, um die Geräuschkulisse zu überbrücken.

Ich schließe für einen Moment die Augen und wünsche ich mir ich würde im Grünen wohnen. An einem See, oder am Meer. In einer kleinen Stadt, in der man mit Fahrrad überall hinkommt. In der nicht immer alles voll und laut und vermüllt ist.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe Berlin. Aber wie das so ist mit der großen Liebe. An bestimmten Tagen kann man sie trotzdem nicht ertragen. 
Am Nachmittag auf dem Rückweg nach Hause ist die U8 schön leer. Ich sitze entspannt und lese im Berliner Fenster Neuigkeiten, die ich sofort wieder vergesse. Am Alex gehe ich noch kurz zu Rossmann und kaufe mir dann beim Späti um die Ecke eine Cola. Zu hause werfe ich meinen kaputten Schirm in den Müll. 
Ich gucke aus dem Fenster und finde, eigentlich ist Berlin doch sehr schön. Nur nicht Morgens um 7, aber welche Stadt ist das schon?


Donnerstag, 21. Juli 2011

Auf dem Prüfstand

In vielen Veranstaltungen zur Karriereplanung hören Studenten spannenden Vorträge zu erfolgreichen Bewerbungen. In Wirklichkeit sind diese Vorträge meistens totsterbenslangweilig und sinnlos, denn es will sich eh niemand im Studiengang Biotechnologie bei der Sparkasse bewerben. Generell aber gilt: um sich erfolgreich zu bewerben, sind einige Dinge unverzichtbar. Zum Beispiel ein geschlossener Lebenslauf, ein fetziges Anschreiben und ein Notenspiegel. 
In meinem Fall stellt die größte Herausforderung der Notenspiegel dar. Nicht weil die Noten so schlecht sind, sondern weil es sehr schwer ist, sie ausgedruckt und beglaubigt in der Hand zu halten. Ehrlich gesagt, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit. 
Das Prüfungsamt der TU Berlin ist nämlich seit April 2011 geschlossen. Warum weiß keiner so genau. Die drei Angestellten sind im Urlaub, krank, auf Kur oder in Mutterschutz. Warum das Büro unbesetzt bleibt, ist mir schnuppe. Die Konsequenzen der Leere in Raum H10 spüre ich allerdings deutlich. Anmeldungen zu Prüfungen werden zu tagelangen Pilgerfahrten. Meisten schafft man es nicht fristgerecht zur Prüfung und guckt dumm aus der Wäsche. Schafft man es doch, und will dann aber wieder von der Prüfung zurücktreten ist es genauso unmöglich. 
Möchte man seine Noten von der University of Calgary wissen, kann man sie online einsehen. Außerdem kann man einen beglaubigten Ausdruck online anfordern, der einem binnen einer Woche per Post nach Deutschland geschickt wird. Möchte man seine Noten von der TU Berlin wissen, darf man sich warm anziehen und einen Antrag stellen. Leider ist das Antragsformular meistens vergriffen.
Aber ich bin guter Dinge und mache mich nun heute morgen in aller Frühe auf den Weg. Ich brauche die Noten bis morgen. Das wird knapp; ich bin wohl selbst ein bisschen schuld an der Dringlichkeit meines Problems.
Wie erwähnt, hat das Prüfungsamt geschlossen, aber Gott sei Dank gibt es eine Ersatzsprechstunde im Campus Center. Dort sitzt eine Dame und verteilt pro Tag 30 Wartenummern. Ein Traum. Das Büro öffnet um 9:30. Ich betrete die Wartehalle um 8:15. Der frühe Vogel fängt den Wurm, denke ich mir und reihe mich in die schon vorhandene Schlage ein. Vor mir warten bereits 10 müde Studenten. Ja, irgendein Vogel ist immer früher. Um 9:30 zieht sich die Schlange durch das halbe Erdgeschoss des Gebäudes. Studenten sitzen auf dem Boden, sind ausgestattet mit Kaffee und Broten, es sieht aus, als wollten sie Tage bleiben. Irgendwie verstehe ich sie. Man weiß ja nie, wie lange es dauert oder ob man überhaupt eine Marke bekommt. Es wundert mich, dass niemand mit Zelt angereist ist und sich mithilfe eines kleinen Campingkocher ein Ei brät. Voller Angst meinen guten Platz zu verlieren, traue ich mich nicht aufs Klo und als um 9:30 die Türen endlich geöffnet werden, ist meine Blase kurz vor dem Platzen und ich bin sehr erleichtert. Wir ziehen wie die Schafe einer nach dem anderen die heißbegehrten Wartenummern. Nach ca. 10 Minuten und 30 Studenten sind die Marken alle. 
Die restlichen 40 markenlosen Studenten draußen vor der Tür sind außer sich vor Wut. Sie dürfen morgen wieder kommen, und ihr Lager aufschlagen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 
Ich habe Glück. Erstens kann ich endlich auf die Toilette und zweitens wird Wartenummer 11 schon um 10:45 aufgerufen. Ich trage mein Anliegen vor und die nette Frau mit Kurzhaarschnitt erbarmt sich meiner und stempelt meine, natürlich vorher zu Hause schon ausgearbeitete Notenübersicht. In schlechtem Deutsch mit starkem russischen Akzent weißt sie mich noch darauf hin, dass sie das eigentlich nicht darf. Das ist mir egal.
Außer mir vor Freude tanze ich mit meinem gestempelten Zettel an der nicht kürzer werdenden Schlange nach Hause. 
Jetzt muss ich zum Hautarzt. Die Wartezeit wird ähnlich lang. Ich habe Frank Schätzing dabei. Und Brote.

Sonntag, 17. Juli 2011

Private Practice

Eine großartige Errungenschaft des 20 Jahrhunderts ist die Privatsphäre. Sie ist so alltäglich geworden, dass man sie erst zu schätzen weiß, nachdem man mehrere Tage darauf verzichten durfte.
Von Mittwoch bis Montag sind wir 3 Leute in meiner Wohnung. 2 Männer und ich. Das sind  eigentlich zwei Männer zu viel. Meine Wohnung hat nur ein Zimmer. Das ist für diese Ansammlung von Menschen eigentlich zwei Zimmer zu wenig. Aber ich nehme es wie es kommt und so sitzt man zu dritt am Frühstückstisch; einer immer auf dem Schreibtischstuhl.
Die beiden Männer sind sehr nett. Der eine darf bei mir im Bett schlafen, ihn kenne ich etwas privater. Der andere ist ein Freund. Und kommt zu Besuch. Er schläft auf dem Sofa. Ich habe ein bisschen Mitleid. Ich habe bis jetzt nichts gutes gehört, von Leuten, die auf dem Sofa schliefen. Ich brauche ein neues Sofa, sonst kommt bald kein Besuch mehr.
Seit Mittwoch machen wir alles zusammen. Wir gehen ins Bett. Ich lösche das Licht. Wenn ich meinem Bettnachbar etwas zuflüstern wird, schallt es förmlich durch den 15 Quadratmeter großen Raum. Das gleiche gilt für den Sofagast. Also schweigen wir. Muss ich aufs Klo, steige ich über seinen Kopf. Seit Mittwoch trinke ich weniger.
Am Donnerstag stehe ich um halb 8 auf, um zu lernen. Die Herren sind begeistert. Am Donnerstag Abend gehen wir alle um 11 ins Bett, da ich am Freitag eine Klausur schreiben muss. Der Wecker klingelt 6:30 am nächsten Morgen. Ich fühle mich schlecht. Leise schleiche ich durch die Wohnung. Dann ruft mein Vater an und alle sind wach. Er wünscht viel Glück. Danke Papa.
Nach der Klausur will ich bei Verbotene Liebe entspannen und muss mehrere Witze ertragen. Die Herren gucken sinnentleerte Youtube-Videos in der Küche. Ich gebe auf und greife zu den Kopfhörern. Trotzdem kann ich mich nur noch schwer auf die Konflikte zwischen Andi und seiner Freundin konzentrieren, die Geräuschkulisse nimmt mich ein. Am Abend sitzt man in der Küche und plaudert. Geht der eine ins Bad, wissen es alle.  
Als mich Sonntag Morgen um 7 meine zwei tieftrunkene Mit-Zwanziger aus dem Schlaf reißen, vermisse ich sie so deutlich wie nie zu vor. Meine Privatsphäre. Die geschlossene Tür. Ruhe. Sich zurückziehen, alleine sein. Das Licht ausmachen, nicht ans Telefon gehen. Die Wand anstarren- in Unterwäsche. Während der eine Teil meiner Wohnung am Sonntag bis in den Nachmittag seinen Rausch ausschläft, sitze ich am Küchentisch und gucke tonlos Tatort.  Es ist unbequem und ich würde gerne Musik hören.
Wie haben es die Menschen bloß früher gemacht? Da haben 10 Leute in einer Holzhütte gewohnt und man konnte nicht einmal in Ruhe duschen. Und selbst meine Mutter teilte sich ein Zimmer mit ihrer Schwester bis sie auszog. Ich glaube, ich bin zu sehr verwöhnt, vom Tür zumachen. 
Die Männer schlafen jetzt. Zum Glück schnarcht niemand. Morgen fährt der Besuch nach Hause. Wir hatten ein schönes Wochenende. Auch mit offenen Türen.