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Freitag, 27. August 2010

Zimmer mit Aussicht

Nach langem Warten und Bangen hinsichtlich meiner Wohnsituation habe ich endlich einen Platz im Studenwohnheim bekommen. Ich bin sehr erleichtert.
Zwei Schlafzimmer, ein Bad, eine Badewanne, Küche und ein „Studio“. Was das Studio ist, weiß ich nicht, aber es wird sich bei Ankunft herausfinden lassen.
2 Schlafzimmer, das heißt, 2 Bewohner. Eine bin ich- nur wer ist die andere? Hoffentlich ist sie nett. Amerikanische Filme vermitteln mir durchgehend ein buntes, aufregendes Bild vom Leben in einem Studentenwohnheim. Spiel, Spaß, Spannung-eingebettet in einen interkulturellen Austausch mehr oder weniger intellektueller Mädchen, die alle Hotpants tragen, nach Erdbeeren riechen und frisch gewaschene Haare haben.
Der eine oder andere Film fällt jedoch aus dem Genre...es gibt schimmlige Bäder, alkoholkranke Mitbewohner, lautes Sexualleben, merkwürdige Essgewohnheiten, unkontrollierter Körpergeruch oder mangelnde Kommunikation.
In Berlin wohne ich allein. Nicht ganz. Mein erwählter Mitbewohner ist männlich, schläft mit mir in einem Bett und krault mir die Beine. Es riecht meistens gut bei uns und vor dem Einschlafen erzählt man sich eine Geschichte oder auch nicht. Meine WG- Erfahrungen sind eher limitiert. Ich hatte mal eine- allerdings mit einer Freundin. Wir sprachen beide deutsch und mochten uns sehr. Es roch meistens gut, und wenn nicht, dann kam der Geruch von der Wohnung nebenan. Gebrüllt wurde auch nur dort. Und das einzige was hin und wieder zu allgemeiner Verstimmung beitrug war der dritte Mitbewohner.
Ob das jetzt in Kanada auch der Fall sein wird, ist nicht sicher. 
Wenn zwei, sich fremde Individuen auf 20 quadratmeter zusammenleben ist der eine oder andere Konflikt kaum zu vermeiden. Ich werde also versuchen, offen und verständnisvoll zu wirken und trotzdem klar, meine Version des Zusammenlebens auf die anderen zu übertragen-so oder so ähnlich.
Die Lage des mir zugeteilten Zimmers kann ich mir auf einer großen Karte im Internet anschauen. Mein Blick aus den dem Fenster führt mich auf einen Sportplatz. Ich stelle fest: Eigentlich brauche ich nicht mehr hinzufahren. Im Winter ist der Sportplatz vermutlich verschneit und alles ist weiß. Diese Sicht kenne ich. Dafür 800 Euro für einen Flug zahlen und alle Habseligkeiten auf 23 kg zu reduzieren? Lohnt sich das wirklich?
Ich mag Schnee. Der Flug wird also nicht storniert.
Als Option bietet die Uni auch einen Speißeplan an. Ich bin nicht nörgelig, was das Essen angeht, nur habe ich gerne viel Soße, wenig Fleisch und auf keinen Fall Zadder, ich esse keine Süßspeisen und mag keinen Reis. Nagut. Vielleicht bin ich doch nörgelig. Aber wenn alle wichtigen Kontakte in der Uni bei einer guten Schüssel Milchreis geknüpft werden, muss ich mich wohl zusammen reißen. In meinen geliebten amerikanischen Filmen haben alle immer sehr viel Spaß beim Essen und überlegen dort, was sie abends gemeinsam lustiges unternehmen. Um Teilnahme wird also unbedingt gebeten.
Mal sehen, was meine Mitbewohnerin so isst, und vielleicht können wir ja zusammen kochen. So knüpft sich der Kontakt bestimmt am besten. Aber nur, solange ich bestimmen kann, was gegessen wird.

Freitag, 20. August 2010

Ein Frühstück inmitten Erinnerungen



Heute kam eine Freundin zum Frühstück vorbeit. 
Nachdem wir uns über aktuelle Vorfälle in unseren Leben gegenseitig ausgetausch und beraten hatten, unterhielten wir uns über die Karriereplanung.
Wir studieren beide das gleiche. Allerdings an unterschiedlichen Stationen.
Immer darum bedacht, der anderen zu helfen, stürze ich also euphorisch in mein kleines Archiv, bestehend aus allem, was man sich vorstellen kann. Schnell sind die gefragten Ordner und Mitschriften aus den unterschiedlichsten Winkeln meiner Wohnung gezerrt und der Freundin in die Hände gerückt.
Doch nur einmal im Dreck gewühlt, öffnet das schlafende Monster Erinnerung seine Augen und guckt mich finster an.
Kaum ist die Freundin aus der Tür sitze ich staubgebadet inmitten von Fotos mit Grinsegesichtern, Eintrittskarten für die historische Eisenbahnausstellung und kleinen Stoffbären. Warum musste man das Praktikumsskript auch genau neben dem Abi-Jahrbuch aufbewahren?
Wie ist das möglich?
Ich bin vor einem Jahr in diese Wohnung gezogen und es ist schon wieder Zeit auszumisten? Warum nur besteht mein einziges Talent darin emotionalen Ballast jeder Form in hübsche Ikea-Papierkartons zu packen und unter dem Bett zu lagern? Ab und zu trage ich sie von A nach B, schiebe den einen unter den anderen oder stelle einen neuen hinzu.
Lieber würde ich mir einen Arm abhacken als die Bilder vom Skilager 2006 wegzuwerfen, dabei gucke ich Sie mir immer nur dann an, wenn ich das Sommer-oder Winterbett wechsel. Also zwei Mal im Jahr. Aber vielleicht reicht das aus.
Der Leonardo-DiCaprio-Fan- Ordner, liebevoll angefertigt von einer 12-jährigen, wandert also  neben der VHS-Kassette der Muppets- Weihnachtsgeschichte wieder unters Bett.
Meine Wohnung besteht hauptsächlich aus Erinnerungen- na und? Ich doch auch.
Für meine Monate in Kanada sollte ich vorausschauend eine zusätzliche externe Festplatte kaufen, um auch wirklich jedes Foto und jedes Lied mitnehmen zu können.
Der Vorteil ist: dort staubt es nicht ein, öfter ansehen oder hören wird man die so dringend benötigten Erinnerungen wohl trotzdem nicht.
Aber man hat sie unter dem Bett. Darauf kommt es an.

Mittwoch, 18. August 2010

Die Tage werden kürzer

Der Job ist gekündigt. Die letzte Klausur geschrieben. Das Visum beantragt. Ab jetzt wird gewartet. Auf den Abflug- ins Abendteuer
Einmal studieren im Ausland klingt mitlerweile so alltäglich wie der Einkauf einer Tüte Milch oder das Beantragen eines Online-Kontos. Angst, Zweifel oder Unsicherheit hinsichtlich des zeitweisen Abbrechens aller momentanigen Kontakte sowie Neugründung seiner Identität auf der anderen Seite des Erdballs scheint genauso irrational wie die Angst vorm Zahnarzt.
Ich habe Sie trotzdem.
Vor meinem geistigen Auge sehe ich  mich in einem dunklen Zimmerchen ohne Freunde und ohne Internet. Ich werde an der Uni Kurse besuchen, die ich nicht gewählt habe und meine Sprachkenntnisse werden aufgrund mangelnder sozialen Kontakte auch nicht besser.
Am Ende kostet mich die „Auslandserfahrung“ eine stange Geld, meinen Stolz und meine Beziehung.
Ich bin Pessimistin.
Ob man am enderen Ende der Welt neben „Teamfähigkeit“ und den anderen heiß begehrten Kompetenzen auch lernt die Dinge nicht immer schwarz zu sehen?
Ich bin gespannt.
Bis dahin schließe ich eine großzügige Unfallversicherung ab, nehme vor jedem Einschlafen eine Beruhigungstablette von Abtei und gucke Filme nur noch auf Englisch, um mir im Zweifel Redewendungen und Slang-Ausdrücke einfach schon vor dem Abflug anzueignen.