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Sonntag, 16. Januar 2011

Berlin in Calgary

Berlin kommt zu Besuch. Ein Gefühl von Heimat macht sich breit im Studentenheim, Appartement  Nr. 432. Es findet seine Perfektion in fertigem Salatdressing von Knorr, cremigen Honig von Lidl und der Zeit von letzter Woche. Bei einem Frühstück mit Brötchen kann ich auch endlich wieder sagen:
“Wat? Nee, achso , ja Kaffe, danke, ey!”
Trotz linguistischer Zurückentwicklung, habe ich das Gefühl, mir liegt die Welt zu Füssen.
In meinem Glückstaumel erwarte ich, dass sich auch mein geliebtes Kanada von seiner besten Seite zeigt, mit Lackschuhen und im Sonntagskleid.
Seit Anreise zeigt das Thermometer jedoch min -20 Grad an. Ich bin enttäuscht. Statt auf die Piste zieht es mich und den Weitgereisten in warme Wohnzimmer und vor allem in Innenräume.
Auch am Wochenende wird es nicht besser. Egal, sagen wir uns. Man nimmt was man kriegen kann. Also ab nach Edmonton- eine weitere Ansammlung von Menschen, die irre genug sind bei dieser Kälte ein Leben zu verbringen. Ein riesiges Einkaufszentrum soll es geben und einen Waterpark. Waterpark, das finden wir gut- gerutscht sind wir schon lange nicht mehr. Heutzutage geht man ja eher gepflegt in die Therme.
Unser Ausflug beginnt vielversprechend mit einem Feueralarm am Samstag Morgen um halb 6. Wie die Schafe trotten wir müde erst einmal quer über den Campus zum Sammelpunkt um dann mit anderen Mitbetroffenen dumm aus der Wäsche zu gucken. Nach 20 Minuten trotten wir dann wieder zurück ins Bett. Fehlalarm. 
Ein paar Stunden später sitzen wir im Auto. Es ist kalt und die Strassenbedingungen sind beschissen.Ich bin froh, dass ich nicht fahre, denn sonst wären wir 
  1. gar nicht gefahren oder hätten
  2. 3 Tage gebraucht, da ich niemals schneller als 30 gefahren wäre. Falls doch, wären wir 
  3. gestorben.
Wozu ich einen Führerschein besitze ist mir bis heute nicht klar. Wollte halt dazu gehören-damals.
Richard kutschiert uns jedoch sicher und souverän Richtung Reiseziel. Ich bin begeistert. Trotzt Karte in meiner Hand habe ich nach 5 Minuten den Überblick verloren. Er glotzt 5 Sekunden auf Google Maps und weis stets wo es langgeht. Immerhin kann ich kompetent 7up Flaschen aufdrehen und nach links reichen.
Richard macht sich lustig. Ich fühle mich schlecht. Ich bin doch Ingenieur. Kann jedoch weder Karten lesen noch einparken. Wozu ich dieses Diplom anstrebe, ist mir in diesem Moment nicht bewusst. Am Orientierungssinn und räumlichen Denken, kann es nicht liegen. Ausserdem klingt es nicht sexy, bietet wenig Möglichkeit zum Party-Smalltalk und ist sehr zeitintensiv. Ich gucke grummlig aus dem Fenster. Immerhin verstehe ich Witze von “Big Bang Theory.” Ich versuche nicht nachtragend zu sein und freue mich sehr, als wir ohne Probleme 3 Stunden später das Hostel erreichen und ich mein Nachtlager auf einer super einladenden Plastik-Matratze aufschlage.
Was nun?
Die Shopping Mall in Edmonton bietet Spass für die ganze Familie. Mami kann bummeln, während Papa in der Achterbahn seine Runden dreht. Die Kinder vergnügen sich im Waterpark und am Ende treffen sich alle im Food Court zum King Size Menü vom A&W.

Ein amerikanischer Traum wird war. Allerdings sind die Burger bei A&W wirklich nicht schlecht und der Waterpark ist grosse Klasse. Erst habe ich jedoch vor allen Rutschen Angst. Dann nur noch vor der Hälfte. Am Ende quatsch mich Richard selbst in Rutschen mit Klassifikation “Extrem”. Teilweise bleibt mir die Luft weg und ich verliere so jedes Mal mein Bikini-Oberteil.  Jeder, der schon einmal den “Tropical Taifoon” gerutscht ist, weiss wovon ich rede.
Als wir abends beide auf unsere Plastik -Matrazen liegen, fühlt es sich ein bisschen an wie zu Hause.
Auch wenn vor dem Fenster ein Schneesturm tobt, ich zum Abendbrot einen Burger gegessen habe, der aus einer Bulette zwischen 2 Käsesandwichen besteht, und man anstelle von “krass” “awesome” sagt.
Und wenn schon. 



Samstag, 8. Januar 2011

Just don't open your eyes yet oder Konstruktion Nr. 1

2011
Immer noch in Kanada. 2010 liegt noch schwer auf meinen Schultern, hält mich manchmal warm und zieht mich manchmal runter.
Draussen tobt ein Schneesturm. Das schlecht isolierte Fenster trägt von Zeit zu Zeit eine eisige Briese in mein Zimmer, die sich kalt und unangenehm um meinem Hals legt. Werde ich krank? Heute Abend gibt es nichts zu tun. Gestern Abend hat man die neuen Austausch-Studenten kennengelernt. Heute Morgen hatte man Kopfschmerzen.
Ich befinde mich in einer Zeitschleife. Vor 4 Monaten saß ich schon einmal abends alleine in meinem Zimmer und habe Serien gesehen. Ich hatte schon einmal Angst vor den langen Tagen und einsamen Abenden. Ich hatte schon einmal niemanden zum Reden. Und ich habe mich schon einmal gefragt ob das hier die richtige Entscheidung war. 
Damals war das Wetter allerdings besser. 
Es kommt mir vor, als ob das kleine Haus, dass ich mir hier gebaut habe, eingestürzt ist. Ich fange also wieder von vorne an. Das Fundament ist immer am schwierigsten. Ich bin kein guter Architekt. Manche meiner Konstruktionen halten ewig und strotzen einem atomaren Angriff. Andere sind sehr wacklig. Sie waren erst eine Burg, dann ein Schloss und am Ende eine Bushaltestelle. Andere schaffen es nicht über den Keller hinaus, und mittlerweile wächst Gras auf den alten Mauern.  Ich bin Müde und mir gehen die kreativen Ideen aus. Ich habe eine Menge Dinge gebaut im letzten Jahr. Was stehen bleibt, wird die Zeit zeigen.
Sim City für Fortgeschrittene.
Zusätzlich zum statischen Grundverständnis und einem Gefühl für Design werden auch kommunikative Fähigkeiten bei dem Bau einer Mehrzweckhalle vorausgesetzt.
Allerdings hat mich der klassische Fragenkatalog in einem Transfer-Student-Gespräch schon letztes Jahr zu Tode genervt.
Where are you from?
What are you studying?
In which year are you in?
Do you want a beer?
Ich beantworte am liebste die letzte Frage, und zwar mit ja. Mit ach und krach habe ich mich im letzten September durch Gespräche gequält, die auf gar keinen Fall wiederholt oder erneut wiedergegeben werden müssen. Aber habe ich eine Wahl? 
I am Gerit. Yes, this is a female name. 
I am from Berlin. Yes, this is in Germany. No problem,  feel free to make jokes about World War two. 
And yes, I’ve heard about Hipster Hitler.
Heute war ich mit einem jungfräulichen Austausch-Studenten in der Einkaufsmeile. Eigentlich ein sehr netter Kerl. Allerdings ein bisschen aufgeregt. Die erste Investition: knallrote Kanadahandschuhe. Er hätte auch gerne eine Flagge, sagt er. Ich gucke ihn entgeistert an und mir wird ein bisschen schlecht. Eine Flagge? Würde ich mir ja nie kaufen, liegt aber vielleicht daran dass ich deutsch bin.
Ich beneide ihn für seine Naivität und seine Arglosigkeit. Er ist bestimmt der perfekte Baumeister. Außerdem beneide ich  ihn um seine noch leere Baufläche. Ich bin noch unentschlossen wie ich meine neuen Häuser in mein altes schönes Dorf integrieren soll. Am liebsten würde ich auch noch einmal alles neu bauen. Neu entwerfen. Planen. Erkunden. 
Es stellt sich mir in den Weg: Die Schwierigkeit des Stetigen.
Alles neu ist immer einfacher.

Das altbekannte Problem. Stets anwesend. Auch im Jahr 2011.