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Dienstag, 15. November 2011

Soul meets Body

Schon seit längerem beschleicht mich das Gefühl: mein Körper ist eine mäßig gut abgesicherte Baustelle.
Bei dem kleinsten Anzeichen von Dauerbelastung, Unregelmäßigkeiten oder Sonderbeanspruchung, bricht alles zusammen. Die Baustelle muss auf weiters geschlossen, um- oder abgebaut werden. 
Während meines Abiturs hatte ich weniger mit dem Lernstoff, als mit stress-bezogener Totalausfällen zu tun. Nach der Aussage meines Arztes: „Hach, nun entspannen sie sich doch mal.“ , wurde es auch nicht leichter. Es kam noch der Stress des Entspannen hinzu.
Ich war sehr froh, als das Abitur vorbei war.
Allerdings wurde es auch beim Studium nur minimal erträglicher. Steht eine besonders stressige Woche ins Haus, kann ich mir schon prophylaktische Antibiotika besorgen. Die Blasenentzündung kommt bestimmt. Oder eine Erkältung. Bindehautentzündung oder ein Handekzem.
Und wenn es wenigstens normale, gängige Erkrankungen wären, könnte ich mich ja vielleicht damit arrangieren. Man könnte sich mit anderen Betroffenen austauschen und über die Mandelentzündung lachen. Mich treffen immer die Exoten von Krankheiten, von denen ich vorher noch nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Sie sind nie schlimm, nur krass nervig.
Ich finde, mein Körper bräuchte Signallämpchen, die leuchten, wenn es ihm wieder zu viel wird, anstatt immer nur zu meckern wenn es zu spät ist und das Kind bereits im Brunnen liegt und jammert.
Wie machen es denn alle anderen? Ich bezweifle, dass die meisten weniger Stress haben. Vielleicht haben sie robustere Körper? Meiner möchte jedenfalls mit Samthandschuhen angefasst werden, sonst entzündet sich was, schwillt an oder fällt ab, juckt, brennt oder wechselt die Farbe.
Ich könnte mit Joga anfangen oder mir Heilsteine besorgen? Ein entspannendes Raumdeo verwenden? Anstelle von Kaffee Grünen Tee trinken? Mein Freundeskreis auf eine Person plus meine Familie beschränken? Mein Studium abbrechen und meinen Job kündigen? Eine Haushaltshilfe einstellen? Nie mehr an mein Telefon gehen? Alles nur noch halb erledigen? Lebensmittel online bestellen? Einfach nicht mehr kochen?
Kurzum: es ist kaum Besserung in Sicht.
Ich kann mich nur mit meiner wackligen Festung von Körper arrangieren und hoffen, dass sie zwar weiterhin bellt, im Ernstfall aber die Klappe hält und nicht wirklich Ärger macht.
Ich mag sie doch- die wacklige Festung. Und wir haben ja auch gute Tage.

Freitag, 9. September 2011

Tanz der Moleküle

Ich lerne für meine Biochemie-Prüfung. In der Top-Ten Liste der unspaßigsten Aktivitäten kommt dieser Zeitvertreib noch vor dem Zahnarztbesuch oder Pfandflaschen wegbringen.
Die Wurzelbehandlung der Biochemie sind meiner Meinung nach die Aminosäuren- bzw. ihr Abbau. Was alles so in meinen Zellen passiert, während ich nach Ablenkung suchend mein Facebook-Status aktualisiere, raubt mir den Atem. Alle Aminosäuren werden kontinuierlich umgeformt, abgebaut, neu gebaut, verbraucht oder gespeichert. Ich frage mich, woher die Aminosäure Leucin weiß, dass sie zu Acetyl-CoA und nicht wie ihre Freundin Isoleucin zu Succinyl-CoA abgebaut wird. Außerdem frage ich mich, wie ich all das jemals begreifen, verstehen und behalten soll. In meinen Zellen passiert einfach zu viel. Mein Kopf ist zu klein.
Die Chemie des Lebens ist faszinierend. Leider meistens nur auf dem Papier oder in schweren Büchern, sodass man eben nochmal schnell bei Wikipedia nachlesen kann, wie genau die Glykolyse funktioniert. Im angeregten Fachgespräch mit meinen Professor, der meine biochemische Kompetenz benoten möchte, kann ich sicherlich nicht mit Wikipedia klugscheißen, sondern schwitze und stottere rum. Nach der Prüfung muss ich auf dem Klo dann weinen. So läuft es doch jedes Mal.
Blöde Moleküle.
Es gibt einfach viel zu viele. Alle sehen irgendwie gleich aus, haben die gleichen funktionellen Gruppen und doch führen einige dazu dass man dick wird, andere dass man Krebs bekommt und wiederum dritte sorgen für schöne Haut und Nägel. Ich bin verwirrt. 
Niemand will Krebs und alle wollen schöne Haare. Wozu gibt es denn den Rest? Könnte man die Biochemie nicht nur auf die schönen Moleküle reduzieren? Es gäbe weniger Ärger und weniger zu Lernen. Die Evolution hat geschlappt, denke ich. Da ich zu Hause kein Labor besitze, um die Biochemie in drei einfache, kompakte und leicht verständliche Schritte für jedermann umzuschreiben, bleibt mir nichts anderes übrig als mich weiter durch den Dschungel der chemischen Ungeheuer zu kämpfen. 
Als nächstes erwartet mich die Aminosäure Tryptophan. Erster Absatz im Buch:

„Tryptophan degradation occurs via a very complex pathway.“
Ich bin begeistert.

Freitag, 29. Juli 2011

Another sunny day

Es gibt Tage, da hasse ich Berlin.
Diese Tage beginnen meistens sehr früh und es regnet. Obwohl eigentlich Sommer ist, stelle ich die Heizung an und koche Kaffee. Ich muss um kurz nach Acht im Labor sein und bin hundemüde. Das Licht, das in die Küche fällt ist grau und schummrig. Der Wetterbericht im Radio macht mir auch nicht viel Hoffnung für die nächsten Tage.
Beim Schmieren meiner Brote stelle ich fest, dass die Leberwurst verschimmelt und die Butter alle ist. Ich schmiere mir einen Toast mit Nutella und sippe lustlos an meinem Kaffe.
Beim Zähneputzen kleckere ich mir Zahnpasta auf meinen Pullover und kaum unten an der Treppe, muss ich noch einmal zurückgehen, da mein Portemonnaie mit Fahrschein noch oben auf dem Schreibtisch liegt.
Ich bin mäßig gut gelaunt. Es gießt immer noch in Strömen und mein Schirm ist kaputt. Die eine Ecke hängt traurig herunter und der Schirm sieht aus wie ich mich fühle.
Die erste U-Bahn fährt mir vor der Nase weg und in der zweiten riecht es muffig nach nassem Hund. Außerdem gibt es keinen Sitzplatz. Eingepackt in Regenjacke, beginne ich in der U-Bahn zu schwitzen wie in der Sauna. Am Alex angekommen, will ich sofort wieder nach Hause, mich umziehen.
Aber es geht weiter in die U8. Eng gequetscht stehen wir alle im Waggon. Der Herr mittleren Alters mit dem dicken Bauch haucht mir seinen Kaffee-Atem ins Gesicht. Kurz darauf werde ich noch etwas mehr gegen das Fahrrad einer Frau gedrückt, als sich der Musikant mit dem Akkordeon durch die Waggon quetscht. Die Fahrrad-Frau quatscht lauthals in ihr Handy und der Musikant hält mir seinen Plastikbecher mit Münzen vor die Nase. So laut kann ich meinen Ipod gar nicht stellen, um die Geräuschkulisse zu überbrücken.

Ich schließe für einen Moment die Augen und wünsche ich mir ich würde im Grünen wohnen. An einem See, oder am Meer. In einer kleinen Stadt, in der man mit Fahrrad überall hinkommt. In der nicht immer alles voll und laut und vermüllt ist.
Versteht mich nicht falsch, ich liebe Berlin. Aber wie das so ist mit der großen Liebe. An bestimmten Tagen kann man sie trotzdem nicht ertragen. 
Am Nachmittag auf dem Rückweg nach Hause ist die U8 schön leer. Ich sitze entspannt und lese im Berliner Fenster Neuigkeiten, die ich sofort wieder vergesse. Am Alex gehe ich noch kurz zu Rossmann und kaufe mir dann beim Späti um die Ecke eine Cola. Zu hause werfe ich meinen kaputten Schirm in den Müll. 
Ich gucke aus dem Fenster und finde, eigentlich ist Berlin doch sehr schön. Nur nicht Morgens um 7, aber welche Stadt ist das schon?


Donnerstag, 21. Juli 2011

Auf dem Prüfstand

In vielen Veranstaltungen zur Karriereplanung hören Studenten spannenden Vorträge zu erfolgreichen Bewerbungen. In Wirklichkeit sind diese Vorträge meistens totsterbenslangweilig und sinnlos, denn es will sich eh niemand im Studiengang Biotechnologie bei der Sparkasse bewerben. Generell aber gilt: um sich erfolgreich zu bewerben, sind einige Dinge unverzichtbar. Zum Beispiel ein geschlossener Lebenslauf, ein fetziges Anschreiben und ein Notenspiegel. 
In meinem Fall stellt die größte Herausforderung der Notenspiegel dar. Nicht weil die Noten so schlecht sind, sondern weil es sehr schwer ist, sie ausgedruckt und beglaubigt in der Hand zu halten. Ehrlich gesagt, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit. 
Das Prüfungsamt der TU Berlin ist nämlich seit April 2011 geschlossen. Warum weiß keiner so genau. Die drei Angestellten sind im Urlaub, krank, auf Kur oder in Mutterschutz. Warum das Büro unbesetzt bleibt, ist mir schnuppe. Die Konsequenzen der Leere in Raum H10 spüre ich allerdings deutlich. Anmeldungen zu Prüfungen werden zu tagelangen Pilgerfahrten. Meisten schafft man es nicht fristgerecht zur Prüfung und guckt dumm aus der Wäsche. Schafft man es doch, und will dann aber wieder von der Prüfung zurücktreten ist es genauso unmöglich. 
Möchte man seine Noten von der University of Calgary wissen, kann man sie online einsehen. Außerdem kann man einen beglaubigten Ausdruck online anfordern, der einem binnen einer Woche per Post nach Deutschland geschickt wird. Möchte man seine Noten von der TU Berlin wissen, darf man sich warm anziehen und einen Antrag stellen. Leider ist das Antragsformular meistens vergriffen.
Aber ich bin guter Dinge und mache mich nun heute morgen in aller Frühe auf den Weg. Ich brauche die Noten bis morgen. Das wird knapp; ich bin wohl selbst ein bisschen schuld an der Dringlichkeit meines Problems.
Wie erwähnt, hat das Prüfungsamt geschlossen, aber Gott sei Dank gibt es eine Ersatzsprechstunde im Campus Center. Dort sitzt eine Dame und verteilt pro Tag 30 Wartenummern. Ein Traum. Das Büro öffnet um 9:30. Ich betrete die Wartehalle um 8:15. Der frühe Vogel fängt den Wurm, denke ich mir und reihe mich in die schon vorhandene Schlage ein. Vor mir warten bereits 10 müde Studenten. Ja, irgendein Vogel ist immer früher. Um 9:30 zieht sich die Schlange durch das halbe Erdgeschoss des Gebäudes. Studenten sitzen auf dem Boden, sind ausgestattet mit Kaffee und Broten, es sieht aus, als wollten sie Tage bleiben. Irgendwie verstehe ich sie. Man weiß ja nie, wie lange es dauert oder ob man überhaupt eine Marke bekommt. Es wundert mich, dass niemand mit Zelt angereist ist und sich mithilfe eines kleinen Campingkocher ein Ei brät. Voller Angst meinen guten Platz zu verlieren, traue ich mich nicht aufs Klo und als um 9:30 die Türen endlich geöffnet werden, ist meine Blase kurz vor dem Platzen und ich bin sehr erleichtert. Wir ziehen wie die Schafe einer nach dem anderen die heißbegehrten Wartenummern. Nach ca. 10 Minuten und 30 Studenten sind die Marken alle. 
Die restlichen 40 markenlosen Studenten draußen vor der Tür sind außer sich vor Wut. Sie dürfen morgen wieder kommen, und ihr Lager aufschlagen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 
Ich habe Glück. Erstens kann ich endlich auf die Toilette und zweitens wird Wartenummer 11 schon um 10:45 aufgerufen. Ich trage mein Anliegen vor und die nette Frau mit Kurzhaarschnitt erbarmt sich meiner und stempelt meine, natürlich vorher zu Hause schon ausgearbeitete Notenübersicht. In schlechtem Deutsch mit starkem russischen Akzent weißt sie mich noch darauf hin, dass sie das eigentlich nicht darf. Das ist mir egal.
Außer mir vor Freude tanze ich mit meinem gestempelten Zettel an der nicht kürzer werdenden Schlange nach Hause. 
Jetzt muss ich zum Hautarzt. Die Wartezeit wird ähnlich lang. Ich habe Frank Schätzing dabei. Und Brote.

Sonntag, 17. Juli 2011

Private Practice

Eine großartige Errungenschaft des 20 Jahrhunderts ist die Privatsphäre. Sie ist so alltäglich geworden, dass man sie erst zu schätzen weiß, nachdem man mehrere Tage darauf verzichten durfte.
Von Mittwoch bis Montag sind wir 3 Leute in meiner Wohnung. 2 Männer und ich. Das sind  eigentlich zwei Männer zu viel. Meine Wohnung hat nur ein Zimmer. Das ist für diese Ansammlung von Menschen eigentlich zwei Zimmer zu wenig. Aber ich nehme es wie es kommt und so sitzt man zu dritt am Frühstückstisch; einer immer auf dem Schreibtischstuhl.
Die beiden Männer sind sehr nett. Der eine darf bei mir im Bett schlafen, ihn kenne ich etwas privater. Der andere ist ein Freund. Und kommt zu Besuch. Er schläft auf dem Sofa. Ich habe ein bisschen Mitleid. Ich habe bis jetzt nichts gutes gehört, von Leuten, die auf dem Sofa schliefen. Ich brauche ein neues Sofa, sonst kommt bald kein Besuch mehr.
Seit Mittwoch machen wir alles zusammen. Wir gehen ins Bett. Ich lösche das Licht. Wenn ich meinem Bettnachbar etwas zuflüstern wird, schallt es förmlich durch den 15 Quadratmeter großen Raum. Das gleiche gilt für den Sofagast. Also schweigen wir. Muss ich aufs Klo, steige ich über seinen Kopf. Seit Mittwoch trinke ich weniger.
Am Donnerstag stehe ich um halb 8 auf, um zu lernen. Die Herren sind begeistert. Am Donnerstag Abend gehen wir alle um 11 ins Bett, da ich am Freitag eine Klausur schreiben muss. Der Wecker klingelt 6:30 am nächsten Morgen. Ich fühle mich schlecht. Leise schleiche ich durch die Wohnung. Dann ruft mein Vater an und alle sind wach. Er wünscht viel Glück. Danke Papa.
Nach der Klausur will ich bei Verbotene Liebe entspannen und muss mehrere Witze ertragen. Die Herren gucken sinnentleerte Youtube-Videos in der Küche. Ich gebe auf und greife zu den Kopfhörern. Trotzdem kann ich mich nur noch schwer auf die Konflikte zwischen Andi und seiner Freundin konzentrieren, die Geräuschkulisse nimmt mich ein. Am Abend sitzt man in der Küche und plaudert. Geht der eine ins Bad, wissen es alle.  
Als mich Sonntag Morgen um 7 meine zwei tieftrunkene Mit-Zwanziger aus dem Schlaf reißen, vermisse ich sie so deutlich wie nie zu vor. Meine Privatsphäre. Die geschlossene Tür. Ruhe. Sich zurückziehen, alleine sein. Das Licht ausmachen, nicht ans Telefon gehen. Die Wand anstarren- in Unterwäsche. Während der eine Teil meiner Wohnung am Sonntag bis in den Nachmittag seinen Rausch ausschläft, sitze ich am Küchentisch und gucke tonlos Tatort.  Es ist unbequem und ich würde gerne Musik hören.
Wie haben es die Menschen bloß früher gemacht? Da haben 10 Leute in einer Holzhütte gewohnt und man konnte nicht einmal in Ruhe duschen. Und selbst meine Mutter teilte sich ein Zimmer mit ihrer Schwester bis sie auszog. Ich glaube, ich bin zu sehr verwöhnt, vom Tür zumachen. 
Die Männer schlafen jetzt. Zum Glück schnarcht niemand. Morgen fährt der Besuch nach Hause. Wir hatten ein schönes Wochenende. Auch mit offenen Türen. 

Mittwoch, 22. Juni 2011

Was liest du so?

Ich arbeite in einem Buchladen. Es ist ein sehr schöner und großer Buchladen. Ich verbringe dort sehr viel Zeit mit Büchern. Ich sortiere sie ein, sortiere sie um, empfehle sie Kunden und bestelle sie nach. Ich kenne sie fast alle, einige mag ich mehr, andere weniger, aber alles in allem kommen wir gut miteinander aus. Meine Lieblinge lege ich auf den Tisch, andere stehen nur einmal im Regal und der Rest liegt versteckt in einer Schublade. 
Ich baue schnell persönliche Beziehungen zu Gegenständen auf. Auch im Berufsleben. 
Seit ich in dem Buchladen arbeite, kaufe ich viele Bücher. Auch welche, die ich nicht lese. Das weiß ich meistens schon an der Kasse, aber dennoch ziehe ich meine EC-Karte durch den kleinen, schwarzen Schlitz. Ich trage dir Bücher stolz nach Hause und will sie gleich lesen. Meistens kommt etwas dazwischen und dann liegen die Bücher mehrere Wochen in ihrer Tüte bis sie irgendwann von A nach B und wieder zurück geräumt werden.
Meine persönliche Top 3 der ungelesenen Räumungsposten:
- Karl Jaspers‘ „Kleine Schule des philosophischen Denkens“
-“Das egoistische Gen“ von Dawkins.
- Das große Brigitte „Bauch Beine Po“- Buch
Keines dieser Bücher werde ich vermutlich je noch einmal lesen, allerdings stehen sie in meinem Bücherregal und lassen mich interessiert und gebildet wirken. Menschen, die meine Wohnung betreten, fallen darauf rein und glauben in mir einen intellektuellen Gesprächspartner gefunden zu haben. Nur das Bauch-Beine-Po Buch,verstecke ich in der Kammer. Es liegt unter meine Yoga-Matte. Ich und mein Po wünschen uns manchmal, dass ich wenigstens ein paar Übungen aus dem Buch gemacht hätte, aber dazu wird es wohl nie wieder kommen. 
Klugen Besuchern meiner Wohnung zeige ich daher meine Kammer ungern. Sie dürfen auf dem Sofa Platz nehmen und bekommen Kaffee angeboten.
Auf dem Fensterbrett neben meinem Bett steht ein hübscher Bastkorb mit Büchern, die ich noch lesen möchte. Ich bin ambitioniert: Michael Bulgakow „Die weiße Garde“, Semprun „Was für ein schöne Sonntag“ und Lenz mit „ Die Deutschstunde“; die letzteren beiden leider in der nervigen Süddeutsche-Zeitung-Ausgabe in blau und lila. So kann ich mit ihnen nicht einmal im Bücherregal punkten. Oder ich müsste die komplette Reihe kaufen. Da das unrealistisch ist, bleiben die beide ganz unten im Bastkorb liegen und leisten sich Gesellschaft.
Manchmal wünsche ich mir, ich würde mir ein Bein brechen und könnte so, endlich mal all diese Bücher lesen. Ich hätte Zeit und wäre entspannt und könnte eh nichts anderes tun, da im Krankenhaus Internet und Telefon verboten sind. Denn wenn ich tatsächlich einmal Zeit habe, gucke ich „Friends“ und bestelle Dinge im H&M-Online-Shop.
Allerdings lese ich wirklich viel. Und gerne. Vor dem Einschlafen, sodass mir das Buch aus der Hand rutscht. Nach dem Aufwachen mit einem Kaffee auf dem Fensterbrett. Im Auto, im Zug oder in U-Bahn. In meinem Pausen. Im Sommer auf einer Decke. Auf dem Sofa mit einem Tee. Ich lese auch gerne vor. Durch das Telefon. Ich höre gerne zu. Ich erzähle gerne von Büchern, die mich begeistern und entführen und ich empfehle sie gerne weiter. Manchmal empfinde ich Mitleid für meine Sonderlinge im Bastkorb. Ich frage mich, ob sie einsam sind und ungeduldig. Irgendwann wird ihre Zeit kommen. 
Ich plane eine lange Busreise nach Dänemark. Vielleicht nehme ich Siegfried mit. 

Freitag, 6. Mai 2011

Back to the start

Ich liege wieder in meinem eigenen Bett. Es läuft Radio Eins. Morgen früh werde ich mir meinen Kaffee mit meiner geliebten Rowenta kochen und mit meinem alten verkalkten Duschkopf duschen. Meine Nachbarn machen auf dem Balkon gegenüber Radau und mein Sofa ist immer noch genauso unbequem. Alles ist irgendwie gleich- und doch nicht.
Ich denke immer noch nach. Aber nicht mehr Kanada. Jetzt wieder in Berlin.
Ewig dauerte die Vorfreude auf mein Jahr im fernen Westen. Nun ist es vorbei. Am Ende zählte ich die Tage, wollte nur noch nach Hause. Und nun?
Bilanz zu ziehen ist schwer und vielleicht auch nicht notwendig. Ich kann ein Jahr nicht bewerten wie einen Vortrag, einen Song oder ein neues Spargel-Rezept. Ich sitze mitten drin und müsste mich daher selbst bilanzieren.
Schön war‘s. Und schwer war‘s. Und manchmal war es sehr einsam. 
Es war kalt. Und es war aufregend. Es war weit weg und vielleicht zu lang. 
Aber eins ist sicher: Es war meins.
Die Erinnerungen machen es sich in meinem Kopf gemütlich. Sie nisten sich ein. Wollen nicht vergessen werden, müssen aber auch Platz machen für neue Tage- in Berlin.
Ich hänge ein paar Fotos an die Wand. Es tut ein bisschen weh. Ich sehe, wie ich diese Zeit verliere. Bilder an der Wand zeigen immer Dinge die waren. Das Foto-Ich gab es noch vor einer Woche. Jetzt ist es ein Gesicht aus einer anderen Zeit und ich finde meine Frisur komisch-dabei ist es doch die gleiche.
Ob ich froh bin wieder hier zu sein? Ja.
Ob ich es noch einmal machen würde? Ja.
Ich habe es gehasst. Die Kälte. Die Langeweile an einem Freitag Abend. Den Schnee. Den Kaffee, das Gesundheitssystem, kanadische Milchprodukte und Preise die keine Mehrwertsteuer enthalten. 
Ich habe es geliebt. Die Berge und die Unendlichkeit dieses Landes. Unverletzlich zu sein aufgrund meiner Unerreichbarkeit. Das schnelle Internet und das letzte überflüssige Bier, heimlich in meinem Zimmer zu Tocotronic.
Ich war nie alleine. Und doch war ich es vielleicht immer. Gemeinsam mit allen anderen gestrandeten Austauschstudenten bauten wir uns unsere Insel. Jetzt, da alle anderen auch zu Hause sind, taufe ich sie Atlantis. Wir wissen, dass sie da war- finden kann sie niemand mehr. 
In Kanada trage ich selten BH und Make-Up. Ich gehe im Schlafanzug zum Briefkasten und finde die Musik von Katy Perry erträglich. Ich koche mir oft Reis und es stört mich nicht, wenn jemand mein Gesichtshandtuch für seine Hände benutzt. In meinen Kursen bin ich die komische Austauschstudentin, die niemand kennt, und mit der niemand redet. Ich esse jeden Morgen eine Grapefruit. Meine North-Face Funktionsjacke ist mein stetiger Begleiter und anstatt zu lesen, baue ich mir eine Parallelwelt mit Freunden aus amerikanischen Serien.
In Berlin stopfe ich mir meine Jeans in die Stiefel, ziehe mir die Kopfhörer auf die Ohren und lasse mich von der U-Bahn zu “The National“ durch die Stadt schaukeln. Zum Frühstück gibt es Kaffee und ich kann mich nicht entscheiden, welche meiner 5 Jacken ich heute tragen soll. Meine Kommilitonen grüßen mich auf der Straße. Bis jetzt habe ich mein Gesichtshandtuch noch nicht einmal gewaschen. Allerdings gucke ich immer noch zum Einschlafen Scrubs, obwohl ich demonstrativ ein Buch auf meinen Nachttisch gelegt habe.
Es ist schön, zu Hause zu sein. Aber Kanada wird mehr sehr fehlen. Und alle, die es mit mir waren.

Mittwoch, 13. April 2011

eine Überlegung zur Frauenquote

Neulich fragt mich jemand, was ich zur Frauenquote denke:




Ich bin keine Feministin. Ich fühle mich als Studentin und nicht als Studierende. Ich bin  Befürworterin des Erziehungsurlaubs für Männer und ich lasse mir von meinem Freund gerne die schweren Einkaufstaschen hochtragen um ihm dafür als Belohnung ein leckeres Schnitzel zu braten. Geschlechterrollen haben bei mir keine große Bedeutung mehr -jedenfalls nicht privat.

Allerdings werde ich Ingenieurin der medizinischen Biotechnologie. Das Ingenieurstudium- eine Männerdomäne.  Abgesehen von einigen Laborleiterinnen in der Mikrobiologie und der Dozentin des Wahlfaches „Das Geschlecht des Ingenieurs“ sah ich an der TU Berlin keine weiblichen Dozentinnen- in 4 Jahren Studium.
Dieses Jahr übernimmt eine Frau einen ganzen Fachbereich- es ist zwar Mikrobiologie, aber immerhin gibt es dort in der Vorlesung nun keine Witze mehr über die Sekretärin am Haupteingang.

Ich habe mich nie geschämt, Männer bei Problemen in Linearer Algebra zu fragen. Ich fühlte mich jedoch persönlich angriffen, als bei einer Bewerbung für studentische Hilfskräfte an der TU Berlin  „Frauen und körperlich Behinderte“ bevorzugt würden. Eine Frau zu sein stellt nur bei weitem keine Behinderung dar. Männer fragen mich zwar selten nach meiner Hilfe, aber vermutlich sind sie einfach nur schüchtern.

Ich kann Strömungen berechnen, Gleichungen ableiten, Stammzellen im Labor differenzieren, DNA- Sequenzen in Datenbanken eingeben und Informationen erhalten, die mir etwas sagen. Ich trage gerne Röcke, bin heimlich erschüttert, dass Prinz William nun doch heiratet und will später einmal Kinder. Nächstes Jahr schreibe ich meine Diplomarbeit.

Warum brauche ich eine Quote?

Noch glaube ich, dass ich als Frau keine Sonderbehandlung mehr verdient habe. Dass ich gleichgestellt bin- mit dem Mann. Dass wir beide zusammen studieren, arbeiten, unsere Kinder erziehen und am Wochenende ins Grüne fahren. Aber vermutlich gibt es irgendwann eine durchsichtige Wand, die Mütter von Vätern und Anzüge von Feinstrumpfhosen trennt.

Noch bestehe ich auf Gleichberechtigung. Die Frauenquote brauchen wir vor allem in den Köpfen- der Männer und der Frauen. Arbeitsplätze sollten nach Qualifikation vergeben werden und nicht nach Geschlecht oder Quote. Auch wenn der Frauenanteil in Managerposition momentan noch viel geringer ist als der Männeranteil- ist ein Gestz kaum der richtige Weg. Erst indem wir nach einer Quote für Frauen fragen, wird „Frau“ wieder zur verletzlichen Randgruppe. Man muss ihr die Tür aufhalten, ihr den neuen Fernseher dreimal erklären und ihr den Stuhl im Aufsichtsrat reservieren.

Ein Geschlecht ist keine Randgruppe. Es ist keine Entscheidung oder politische Gesinnung, keine traumatische Erfahrung in der Kindheit und sollte auch nicht mehr Teil einer Staatsdoktrin sein. Es stellt heutzutage auch keine biologische Benachteiligung mehr dar. Ein Geschlecht ist Zufall.

Ich bin keine Randgruppe.

Ich kann nicht Gleichberechtigung verlangen und dann Bevorzugung erwarten. Mein Geschlecht stellt keine Rechtfertigung oder Entschuldigung mehr da. Auch ein Kind nicht. Will ich in die Manager Etage- muss ich mich entscheiden. Als Mann und als Frau. Sitze ich mit meinem blondgelockten Engel lieber auf dem Spielplatz und lasse einen Drachen steigen, sehe ich meine Erfüllung vermutlich eh nicht darin 80h die Woche zu arbeiten und gegen Arbeitslosigkeit und für Kostenoptimierung zu kämpfen.

Vielleicht fehlen mir 20 Jahre Arbeitserfahrung. Vielleicht bin ich zu optimistisch. Vielleicht ist die durchsichtige Wand, durch die nur Männer zum Sektempfang geladen werden, nicht anders als mit einer Quote zu sprengen. Aber noch bin ich zu idealistisch, um das zu glauben.

Dienstag, 8. März 2011

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Ich brauche einen neuen Computer, denn Schneewittchen (mein Alter) liegt kalt und blass unter der Erde. Ein tragischer Unfall raubte ihm das Leben und nach 3 Monaten der Trauer ist es an der Zeit nach vorm zu schauen.  Einen ebenbürtiger Nachfolger muss her. 

Also lese ich mehrere einschlägige Internetblogs in denen Klugscheißer damit prahlen, welche Zahlen sie im Zusammenhang mit bestimmten Computern kennen. Ich verstehe kein Wort, weiß nicht, was die Zahlen bedeuten und bin ehrlich gesagt auch nicht sonderlich daran interessiert.
Eigentlich will ich wieder einen Mac. Aber ich habe auch Prinzipien. Denke ich.
Ich bin so sehr genervt von allen Mac-Affen dieser Welt- und ich habe das Gefühle sie wohnen alle, ausnahmslos ALLE in Calgary.  Sie besetzten die Universität, die Biblitothek,  sie sprechen schlechtes English und installieren Microsoft auf ihren Mac. Will man in einen Apple Store, darf man in der Schlange warten. Ist man endlich drinnen, wird man wie ein Idiot behandelt,  da man sich anstelle für das neue Ipad nur für ein Ladegerät interessiert und außerdem einen Ipod aus dem Jahr 2007 hat.
Ich hasse sie alle. Aus tiefstem Herzen. Die Verkäufer. Die Iphone- Prahler, die immer noch ein Zweithandy zum Telefonieren besitzten, da sonst der Vertrag so teuer ist. Die tussigen Mac- Mädchen, die bei Starbucks sitzen und ihre dämliche Hausarbeit über kanadische Geschichte in Word mit dem 2-Finger-Schreibsystem tippen. DIe MacBookPro-Armee, uniform und blind, trifft sich an der University of Calgary um sich ohne Sinn und Verstand täglich gegenseitig zu High-Fiven.
Ich habe die Schnauze voll. Denke ich.
Ich breche aus. Und kaufe ich einen Microsoft Laptop. Er ist schlicht und silber und liegt angenehm in der Hand. Ich bin zufrieden. Halbwegs. Ein bisschen wehmütig bin ich allerdings trotzdem und daher bekommt er schließlich einen Apfel-Name. Es war ja nun auch nicht alles schlecht damals. Wir hatten eine gute Zeit und dann kamen die Massen. Aber für die Tussen und den Hype konnte ja nun auch Schneewitchen nichts. Granny Smith soll der Neue heißen. Das ist mein Lieblingsapfel. 
Gute Idee. Denke ich.
Leider wird sein Spitzname Granny, und wie es sein Name vermuten lässt bekommt der Gute nach knapp zwei Woche Arthritis und Demenz. Was mit Großeltern in der Regel nicht funktioniert, klappt mit Granny ausgezeichnet und auch ohne ethische Komplikationen. Ich tausche ihn um. Gegen einen gesunden, neuen Granny. Denke ich.
Dennoch bin ich genervt. Zwei Wochen, unendliche Stunden des Datentransfers und eine externe Festplatte später stehe ich wieder vor einem lehren Laptop der hungrig auf Erinnerungen wartet. Ich starte erneut. Kann ja mal passieren. Man will ja Microsoft eine Chance geben denke ich. Die haben bestimmt was gelernt in den letzten 10 Jahren, denke ich. Jetzt wird alles gut, denke ich.

Zwei Tage später stehe ich allerdings mit halben Nervenzusammenbruch, dem neuen, dennoch wieder alten und krankem Granny in dem Computerladen und will mein Geld zurück. Die spinnen doch. Mit dem blöden Microsoft Ding hatte ich in 2 Wochen mehr Stress und Ärger als mit meinem geliebten Macbook in 4 Jahren. 

Also brauche ich wieder einen neuen Computer. Aber eins ist klar. Es wird ein Mac.

Augen zu und durch. Ich betrete den Apple Store und bekomme immer noch fast das Kotzen. Das künstliche Lächeln des Apple-Fanboys mit Bauchansatz und Glatze treibt mich in den Wahnsinn. Er benimmt sich als wäre er aufgeregte 18 während er mir das Macbook erklärt, dabei geht er auf die 40 zu. Ich will es doch einfach nur kaufen. Nein, ihr braucht ihn mir nicht einrichten. Nein, ich möchte kein Office Paket. Und nein ich möchte auch keine Foto von mir, wie ich den Karton entgegennehme, ihr Spinnner.
Zwar stehe ich evolutionstechnisch wieder auf der gleichen Stufe wie die Starbucks-Tussen und marschiere gemeinsam mit ihnen fröhlich grinsend in der Armee der Mac User mit. 
Allerdings benutzte ich Pages und habe einen Laptop der funktioniert.
Er heisst Golden Delicious.

Sonntag, 13. Februar 2011

Eine Nation verschenkt Herzen


Heute ist Valentinstag. 

Der kulturelle Facettenreichtum Kanadas hat mich schon mehrmals in tiefes Staunen versetzt. Diesmal dreht sich alles um „The big V-Day“- nach „B-Day“ und „X-Mas“wohl eine der schlimmsten Verstümmlungen der englischen Sprache.  

Die Rede ist vom Valentinstag- dem Tag der glücklich Verliebten, lange Verheirateten und Einhänzelhändler.

Ganz Kanada ist in purer Ekstase. In meinem Wohnheim kleben an allen Ecken rosa Einladungen zu allem Möglichen. Ich möchte da nicht hin. Ich bin mal wieder genervt.

Das mit Valentinstag habe ich ja noch nie verstanden. Bis vor wenigen Jahren glaubte ich, es hieße Valendienstag und war zutiefst verwundert, als es ihn auch an einem Mittwoch gab. Das gleiche Problem hatte ich übringens mit dem Strebergarten. Nun, einige Jahre später, da der Valentinstag mich ebenso wenig fasziniert wie ein Schrebergarten, distanziere ich mich einmal  mehr von meinem Umfeld und leider von meiner geliebten Oma und ihren leckeren Himbeeren.

Da ich morgen weder zum romantischen Dinner, noch zur Kutschfahrt mit dem weißen Pferd, zur Partnermassage, in die Liebesmuschel oder zum bescheuerten Partner-Bungee-Sprung eingeladen werde, lade ich meine Freundinen ein. Zum Pokerabend. Mit Schnittchen und Schnaps. Alle sind willkommen, die Valentinstag genauso blöd finden wie wir. 

Und zwar aus Überzeugung und nicht aus Notwendigkeit.

In dem Zusammenhang fällt mir auf: Warum gibt es denn für alles einen Tag? 
Nagut, Ostern und Weihnachten finde ich gut, denn da hat man immer frei, es gibt leckeres Essen und ich kann meine Wohnung spießig dekorieren. Außerdem gibt es Blätterkrokant und ein gutes Fernsehprogramm. 

Nikolaus macht  am meisten Spaß. Auch heute noch stelle ich meine geputzten Schuhe vor die Tür und gehe aufgeregt schlafen.

Muttertag-früher gern der einzige Tag im Jahr an dem ich vor meiner Mutter aufstand und den Frühstückstisch gedeckt habe, heute ein wilkommener Anlass mit Mama beim Brunch auf ein Glas Sekt anzustoßen. Der Tag enttäuscht nur ein bisschen, wenn er auf meinen Geburstag fällt- ich teile nicht gern die Aufmerksamkeit. 

Vatertag ist eh nur was für betrunkene Männer mittleren Alters, die mit Blumen am Fahrrad und dümmlichem Hut nachmittags um drei die Landstrasse entlangfahren und singen. Der Tag wird auch bevorzugt begangen von Jungs Anfang/Mitte Zwanzig mit nicht weniger dümmlichen Hüten und auch nicht weniger Promille. Dafür mit bekloppten Spielen, bei denen man am schnellsten einen Bierkasten um einen See tragen muss.

Frauentag ist da mehr was für mich. Allerdings musste ich in der 13. Klasse einmal eine Tanzchoreografie vorführen, habe mich fürcherlich blamiert und hasse den Tag seitdem.

Kindertag war früher ein Knaller wird aber mitleriweile von meiner Mutter ignoriert. 

Welt Aids Tag- damit konnte man in der Schule pseudopolitisch sein Engagement am Mantel tragen- für nur eine Spende von 10 Cent, die vermutlich nie ein Aidskranker je zu Gesicht bekommen hat.

Mein persönlicher Liebling ist aber der „Suit-up“ Tag, der am 13.10. stilbewussten Männern die Möglichkeit gibt, auch im Supermarkt wie aus dem Ei gepellt auszusehen.


Habe ich einen vergessen?

Kanada geht allerdings noch einen Schritt weiter. Dort gibt es im Oktober den „Anti- Brustkrebs“Monat und im November kann man sich einen Schnurrbart wachsen lassen, um auszudrücken, dass man Prostatakrebs scheisse findet. Gerne auch für Frauen mit Hormonproblemem.
Passend dazu gibt es Fäustlinge zu kaufen- in rosa und blau für 9,99$.

Ich meine, mal ganz ehrlich, wer findet denn Krebs gut?

Der ganze Tages- und  Monats- Spezialisierungszirkus dient wohl auch nur dazu das Leben langweilige Geistern mit mäßig guter Unterhaltung und überteuerten Geschenken bunter zu gestalten???

Vielleicht ist das zu zynisch. Denn wenn ich nachher keine Karte im Briefkasten habe, in der steht, dass ich ganz toll bin, bin ich bestimmt trotzdem enttäuscht und setzte alle Hoffnung in den Groundhog Day. Den habe ich zwar dieses Jahr knapp verpasst, aber nächstes Jahr, wird der ganz groß gefeiert.

Sonntag, 16. Januar 2011

Berlin in Calgary

Berlin kommt zu Besuch. Ein Gefühl von Heimat macht sich breit im Studentenheim, Appartement  Nr. 432. Es findet seine Perfektion in fertigem Salatdressing von Knorr, cremigen Honig von Lidl und der Zeit von letzter Woche. Bei einem Frühstück mit Brötchen kann ich auch endlich wieder sagen:
“Wat? Nee, achso , ja Kaffe, danke, ey!”
Trotz linguistischer Zurückentwicklung, habe ich das Gefühl, mir liegt die Welt zu Füssen.
In meinem Glückstaumel erwarte ich, dass sich auch mein geliebtes Kanada von seiner besten Seite zeigt, mit Lackschuhen und im Sonntagskleid.
Seit Anreise zeigt das Thermometer jedoch min -20 Grad an. Ich bin enttäuscht. Statt auf die Piste zieht es mich und den Weitgereisten in warme Wohnzimmer und vor allem in Innenräume.
Auch am Wochenende wird es nicht besser. Egal, sagen wir uns. Man nimmt was man kriegen kann. Also ab nach Edmonton- eine weitere Ansammlung von Menschen, die irre genug sind bei dieser Kälte ein Leben zu verbringen. Ein riesiges Einkaufszentrum soll es geben und einen Waterpark. Waterpark, das finden wir gut- gerutscht sind wir schon lange nicht mehr. Heutzutage geht man ja eher gepflegt in die Therme.
Unser Ausflug beginnt vielversprechend mit einem Feueralarm am Samstag Morgen um halb 6. Wie die Schafe trotten wir müde erst einmal quer über den Campus zum Sammelpunkt um dann mit anderen Mitbetroffenen dumm aus der Wäsche zu gucken. Nach 20 Minuten trotten wir dann wieder zurück ins Bett. Fehlalarm. 
Ein paar Stunden später sitzen wir im Auto. Es ist kalt und die Strassenbedingungen sind beschissen.Ich bin froh, dass ich nicht fahre, denn sonst wären wir 
  1. gar nicht gefahren oder hätten
  2. 3 Tage gebraucht, da ich niemals schneller als 30 gefahren wäre. Falls doch, wären wir 
  3. gestorben.
Wozu ich einen Führerschein besitze ist mir bis heute nicht klar. Wollte halt dazu gehören-damals.
Richard kutschiert uns jedoch sicher und souverän Richtung Reiseziel. Ich bin begeistert. Trotzt Karte in meiner Hand habe ich nach 5 Minuten den Überblick verloren. Er glotzt 5 Sekunden auf Google Maps und weis stets wo es langgeht. Immerhin kann ich kompetent 7up Flaschen aufdrehen und nach links reichen.
Richard macht sich lustig. Ich fühle mich schlecht. Ich bin doch Ingenieur. Kann jedoch weder Karten lesen noch einparken. Wozu ich dieses Diplom anstrebe, ist mir in diesem Moment nicht bewusst. Am Orientierungssinn und räumlichen Denken, kann es nicht liegen. Ausserdem klingt es nicht sexy, bietet wenig Möglichkeit zum Party-Smalltalk und ist sehr zeitintensiv. Ich gucke grummlig aus dem Fenster. Immerhin verstehe ich Witze von “Big Bang Theory.” Ich versuche nicht nachtragend zu sein und freue mich sehr, als wir ohne Probleme 3 Stunden später das Hostel erreichen und ich mein Nachtlager auf einer super einladenden Plastik-Matratze aufschlage.
Was nun?
Die Shopping Mall in Edmonton bietet Spass für die ganze Familie. Mami kann bummeln, während Papa in der Achterbahn seine Runden dreht. Die Kinder vergnügen sich im Waterpark und am Ende treffen sich alle im Food Court zum King Size Menü vom A&W.

Ein amerikanischer Traum wird war. Allerdings sind die Burger bei A&W wirklich nicht schlecht und der Waterpark ist grosse Klasse. Erst habe ich jedoch vor allen Rutschen Angst. Dann nur noch vor der Hälfte. Am Ende quatsch mich Richard selbst in Rutschen mit Klassifikation “Extrem”. Teilweise bleibt mir die Luft weg und ich verliere so jedes Mal mein Bikini-Oberteil.  Jeder, der schon einmal den “Tropical Taifoon” gerutscht ist, weiss wovon ich rede.
Als wir abends beide auf unsere Plastik -Matrazen liegen, fühlt es sich ein bisschen an wie zu Hause.
Auch wenn vor dem Fenster ein Schneesturm tobt, ich zum Abendbrot einen Burger gegessen habe, der aus einer Bulette zwischen 2 Käsesandwichen besteht, und man anstelle von “krass” “awesome” sagt.
Und wenn schon. 



Samstag, 8. Januar 2011

Just don't open your eyes yet oder Konstruktion Nr. 1

2011
Immer noch in Kanada. 2010 liegt noch schwer auf meinen Schultern, hält mich manchmal warm und zieht mich manchmal runter.
Draussen tobt ein Schneesturm. Das schlecht isolierte Fenster trägt von Zeit zu Zeit eine eisige Briese in mein Zimmer, die sich kalt und unangenehm um meinem Hals legt. Werde ich krank? Heute Abend gibt es nichts zu tun. Gestern Abend hat man die neuen Austausch-Studenten kennengelernt. Heute Morgen hatte man Kopfschmerzen.
Ich befinde mich in einer Zeitschleife. Vor 4 Monaten saß ich schon einmal abends alleine in meinem Zimmer und habe Serien gesehen. Ich hatte schon einmal Angst vor den langen Tagen und einsamen Abenden. Ich hatte schon einmal niemanden zum Reden. Und ich habe mich schon einmal gefragt ob das hier die richtige Entscheidung war. 
Damals war das Wetter allerdings besser. 
Es kommt mir vor, als ob das kleine Haus, dass ich mir hier gebaut habe, eingestürzt ist. Ich fange also wieder von vorne an. Das Fundament ist immer am schwierigsten. Ich bin kein guter Architekt. Manche meiner Konstruktionen halten ewig und strotzen einem atomaren Angriff. Andere sind sehr wacklig. Sie waren erst eine Burg, dann ein Schloss und am Ende eine Bushaltestelle. Andere schaffen es nicht über den Keller hinaus, und mittlerweile wächst Gras auf den alten Mauern.  Ich bin Müde und mir gehen die kreativen Ideen aus. Ich habe eine Menge Dinge gebaut im letzten Jahr. Was stehen bleibt, wird die Zeit zeigen.
Sim City für Fortgeschrittene.
Zusätzlich zum statischen Grundverständnis und einem Gefühl für Design werden auch kommunikative Fähigkeiten bei dem Bau einer Mehrzweckhalle vorausgesetzt.
Allerdings hat mich der klassische Fragenkatalog in einem Transfer-Student-Gespräch schon letztes Jahr zu Tode genervt.
Where are you from?
What are you studying?
In which year are you in?
Do you want a beer?
Ich beantworte am liebste die letzte Frage, und zwar mit ja. Mit ach und krach habe ich mich im letzten September durch Gespräche gequält, die auf gar keinen Fall wiederholt oder erneut wiedergegeben werden müssen. Aber habe ich eine Wahl? 
I am Gerit. Yes, this is a female name. 
I am from Berlin. Yes, this is in Germany. No problem,  feel free to make jokes about World War two. 
And yes, I’ve heard about Hipster Hitler.
Heute war ich mit einem jungfräulichen Austausch-Studenten in der Einkaufsmeile. Eigentlich ein sehr netter Kerl. Allerdings ein bisschen aufgeregt. Die erste Investition: knallrote Kanadahandschuhe. Er hätte auch gerne eine Flagge, sagt er. Ich gucke ihn entgeistert an und mir wird ein bisschen schlecht. Eine Flagge? Würde ich mir ja nie kaufen, liegt aber vielleicht daran dass ich deutsch bin.
Ich beneide ihn für seine Naivität und seine Arglosigkeit. Er ist bestimmt der perfekte Baumeister. Außerdem beneide ich  ihn um seine noch leere Baufläche. Ich bin noch unentschlossen wie ich meine neuen Häuser in mein altes schönes Dorf integrieren soll. Am liebsten würde ich auch noch einmal alles neu bauen. Neu entwerfen. Planen. Erkunden. 
Es stellt sich mir in den Weg: Die Schwierigkeit des Stetigen.
Alles neu ist immer einfacher.

Das altbekannte Problem. Stets anwesend. Auch im Jahr 2011.