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Sonntag, 17. Juli 2011

Private Practice

Eine großartige Errungenschaft des 20 Jahrhunderts ist die Privatsphäre. Sie ist so alltäglich geworden, dass man sie erst zu schätzen weiß, nachdem man mehrere Tage darauf verzichten durfte.
Von Mittwoch bis Montag sind wir 3 Leute in meiner Wohnung. 2 Männer und ich. Das sind  eigentlich zwei Männer zu viel. Meine Wohnung hat nur ein Zimmer. Das ist für diese Ansammlung von Menschen eigentlich zwei Zimmer zu wenig. Aber ich nehme es wie es kommt und so sitzt man zu dritt am Frühstückstisch; einer immer auf dem Schreibtischstuhl.
Die beiden Männer sind sehr nett. Der eine darf bei mir im Bett schlafen, ihn kenne ich etwas privater. Der andere ist ein Freund. Und kommt zu Besuch. Er schläft auf dem Sofa. Ich habe ein bisschen Mitleid. Ich habe bis jetzt nichts gutes gehört, von Leuten, die auf dem Sofa schliefen. Ich brauche ein neues Sofa, sonst kommt bald kein Besuch mehr.
Seit Mittwoch machen wir alles zusammen. Wir gehen ins Bett. Ich lösche das Licht. Wenn ich meinem Bettnachbar etwas zuflüstern wird, schallt es förmlich durch den 15 Quadratmeter großen Raum. Das gleiche gilt für den Sofagast. Also schweigen wir. Muss ich aufs Klo, steige ich über seinen Kopf. Seit Mittwoch trinke ich weniger.
Am Donnerstag stehe ich um halb 8 auf, um zu lernen. Die Herren sind begeistert. Am Donnerstag Abend gehen wir alle um 11 ins Bett, da ich am Freitag eine Klausur schreiben muss. Der Wecker klingelt 6:30 am nächsten Morgen. Ich fühle mich schlecht. Leise schleiche ich durch die Wohnung. Dann ruft mein Vater an und alle sind wach. Er wünscht viel Glück. Danke Papa.
Nach der Klausur will ich bei Verbotene Liebe entspannen und muss mehrere Witze ertragen. Die Herren gucken sinnentleerte Youtube-Videos in der Küche. Ich gebe auf und greife zu den Kopfhörern. Trotzdem kann ich mich nur noch schwer auf die Konflikte zwischen Andi und seiner Freundin konzentrieren, die Geräuschkulisse nimmt mich ein. Am Abend sitzt man in der Küche und plaudert. Geht der eine ins Bad, wissen es alle.  
Als mich Sonntag Morgen um 7 meine zwei tieftrunkene Mit-Zwanziger aus dem Schlaf reißen, vermisse ich sie so deutlich wie nie zu vor. Meine Privatsphäre. Die geschlossene Tür. Ruhe. Sich zurückziehen, alleine sein. Das Licht ausmachen, nicht ans Telefon gehen. Die Wand anstarren- in Unterwäsche. Während der eine Teil meiner Wohnung am Sonntag bis in den Nachmittag seinen Rausch ausschläft, sitze ich am Küchentisch und gucke tonlos Tatort.  Es ist unbequem und ich würde gerne Musik hören.
Wie haben es die Menschen bloß früher gemacht? Da haben 10 Leute in einer Holzhütte gewohnt und man konnte nicht einmal in Ruhe duschen. Und selbst meine Mutter teilte sich ein Zimmer mit ihrer Schwester bis sie auszog. Ich glaube, ich bin zu sehr verwöhnt, vom Tür zumachen. 
Die Männer schlafen jetzt. Zum Glück schnarcht niemand. Morgen fährt der Besuch nach Hause. Wir hatten ein schönes Wochenende. Auch mit offenen Türen. 

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