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Mittwoch, 22. Juni 2011

Was liest du so?

Ich arbeite in einem Buchladen. Es ist ein sehr schöner und großer Buchladen. Ich verbringe dort sehr viel Zeit mit Büchern. Ich sortiere sie ein, sortiere sie um, empfehle sie Kunden und bestelle sie nach. Ich kenne sie fast alle, einige mag ich mehr, andere weniger, aber alles in allem kommen wir gut miteinander aus. Meine Lieblinge lege ich auf den Tisch, andere stehen nur einmal im Regal und der Rest liegt versteckt in einer Schublade. 
Ich baue schnell persönliche Beziehungen zu Gegenständen auf. Auch im Berufsleben. 
Seit ich in dem Buchladen arbeite, kaufe ich viele Bücher. Auch welche, die ich nicht lese. Das weiß ich meistens schon an der Kasse, aber dennoch ziehe ich meine EC-Karte durch den kleinen, schwarzen Schlitz. Ich trage dir Bücher stolz nach Hause und will sie gleich lesen. Meistens kommt etwas dazwischen und dann liegen die Bücher mehrere Wochen in ihrer Tüte bis sie irgendwann von A nach B und wieder zurück geräumt werden.
Meine persönliche Top 3 der ungelesenen Räumungsposten:
- Karl Jaspers‘ „Kleine Schule des philosophischen Denkens“
-“Das egoistische Gen“ von Dawkins.
- Das große Brigitte „Bauch Beine Po“- Buch
Keines dieser Bücher werde ich vermutlich je noch einmal lesen, allerdings stehen sie in meinem Bücherregal und lassen mich interessiert und gebildet wirken. Menschen, die meine Wohnung betreten, fallen darauf rein und glauben in mir einen intellektuellen Gesprächspartner gefunden zu haben. Nur das Bauch-Beine-Po Buch,verstecke ich in der Kammer. Es liegt unter meine Yoga-Matte. Ich und mein Po wünschen uns manchmal, dass ich wenigstens ein paar Übungen aus dem Buch gemacht hätte, aber dazu wird es wohl nie wieder kommen. 
Klugen Besuchern meiner Wohnung zeige ich daher meine Kammer ungern. Sie dürfen auf dem Sofa Platz nehmen und bekommen Kaffee angeboten.
Auf dem Fensterbrett neben meinem Bett steht ein hübscher Bastkorb mit Büchern, die ich noch lesen möchte. Ich bin ambitioniert: Michael Bulgakow „Die weiße Garde“, Semprun „Was für ein schöne Sonntag“ und Lenz mit „ Die Deutschstunde“; die letzteren beiden leider in der nervigen Süddeutsche-Zeitung-Ausgabe in blau und lila. So kann ich mit ihnen nicht einmal im Bücherregal punkten. Oder ich müsste die komplette Reihe kaufen. Da das unrealistisch ist, bleiben die beide ganz unten im Bastkorb liegen und leisten sich Gesellschaft.
Manchmal wünsche ich mir, ich würde mir ein Bein brechen und könnte so, endlich mal all diese Bücher lesen. Ich hätte Zeit und wäre entspannt und könnte eh nichts anderes tun, da im Krankenhaus Internet und Telefon verboten sind. Denn wenn ich tatsächlich einmal Zeit habe, gucke ich „Friends“ und bestelle Dinge im H&M-Online-Shop.
Allerdings lese ich wirklich viel. Und gerne. Vor dem Einschlafen, sodass mir das Buch aus der Hand rutscht. Nach dem Aufwachen mit einem Kaffee auf dem Fensterbrett. Im Auto, im Zug oder in U-Bahn. In meinem Pausen. Im Sommer auf einer Decke. Auf dem Sofa mit einem Tee. Ich lese auch gerne vor. Durch das Telefon. Ich höre gerne zu. Ich erzähle gerne von Büchern, die mich begeistern und entführen und ich empfehle sie gerne weiter. Manchmal empfinde ich Mitleid für meine Sonderlinge im Bastkorb. Ich frage mich, ob sie einsam sind und ungeduldig. Irgendwann wird ihre Zeit kommen. 
Ich plane eine lange Busreise nach Dänemark. Vielleicht nehme ich Siegfried mit. 

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