Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Donnerstag, 21. Juli 2011

Auf dem Prüfstand

In vielen Veranstaltungen zur Karriereplanung hören Studenten spannenden Vorträge zu erfolgreichen Bewerbungen. In Wirklichkeit sind diese Vorträge meistens totsterbenslangweilig und sinnlos, denn es will sich eh niemand im Studiengang Biotechnologie bei der Sparkasse bewerben. Generell aber gilt: um sich erfolgreich zu bewerben, sind einige Dinge unverzichtbar. Zum Beispiel ein geschlossener Lebenslauf, ein fetziges Anschreiben und ein Notenspiegel. 
In meinem Fall stellt die größte Herausforderung der Notenspiegel dar. Nicht weil die Noten so schlecht sind, sondern weil es sehr schwer ist, sie ausgedruckt und beglaubigt in der Hand zu halten. Ehrlich gesagt, ist es fast ein Ding der Unmöglichkeit. 
Das Prüfungsamt der TU Berlin ist nämlich seit April 2011 geschlossen. Warum weiß keiner so genau. Die drei Angestellten sind im Urlaub, krank, auf Kur oder in Mutterschutz. Warum das Büro unbesetzt bleibt, ist mir schnuppe. Die Konsequenzen der Leere in Raum H10 spüre ich allerdings deutlich. Anmeldungen zu Prüfungen werden zu tagelangen Pilgerfahrten. Meisten schafft man es nicht fristgerecht zur Prüfung und guckt dumm aus der Wäsche. Schafft man es doch, und will dann aber wieder von der Prüfung zurücktreten ist es genauso unmöglich. 
Möchte man seine Noten von der University of Calgary wissen, kann man sie online einsehen. Außerdem kann man einen beglaubigten Ausdruck online anfordern, der einem binnen einer Woche per Post nach Deutschland geschickt wird. Möchte man seine Noten von der TU Berlin wissen, darf man sich warm anziehen und einen Antrag stellen. Leider ist das Antragsformular meistens vergriffen.
Aber ich bin guter Dinge und mache mich nun heute morgen in aller Frühe auf den Weg. Ich brauche die Noten bis morgen. Das wird knapp; ich bin wohl selbst ein bisschen schuld an der Dringlichkeit meines Problems.
Wie erwähnt, hat das Prüfungsamt geschlossen, aber Gott sei Dank gibt es eine Ersatzsprechstunde im Campus Center. Dort sitzt eine Dame und verteilt pro Tag 30 Wartenummern. Ein Traum. Das Büro öffnet um 9:30. Ich betrete die Wartehalle um 8:15. Der frühe Vogel fängt den Wurm, denke ich mir und reihe mich in die schon vorhandene Schlage ein. Vor mir warten bereits 10 müde Studenten. Ja, irgendein Vogel ist immer früher. Um 9:30 zieht sich die Schlange durch das halbe Erdgeschoss des Gebäudes. Studenten sitzen auf dem Boden, sind ausgestattet mit Kaffee und Broten, es sieht aus, als wollten sie Tage bleiben. Irgendwie verstehe ich sie. Man weiß ja nie, wie lange es dauert oder ob man überhaupt eine Marke bekommt. Es wundert mich, dass niemand mit Zelt angereist ist und sich mithilfe eines kleinen Campingkocher ein Ei brät. Voller Angst meinen guten Platz zu verlieren, traue ich mich nicht aufs Klo und als um 9:30 die Türen endlich geöffnet werden, ist meine Blase kurz vor dem Platzen und ich bin sehr erleichtert. Wir ziehen wie die Schafe einer nach dem anderen die heißbegehrten Wartenummern. Nach ca. 10 Minuten und 30 Studenten sind die Marken alle. 
Die restlichen 40 markenlosen Studenten draußen vor der Tür sind außer sich vor Wut. Sie dürfen morgen wieder kommen, und ihr Lager aufschlagen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. 
Ich habe Glück. Erstens kann ich endlich auf die Toilette und zweitens wird Wartenummer 11 schon um 10:45 aufgerufen. Ich trage mein Anliegen vor und die nette Frau mit Kurzhaarschnitt erbarmt sich meiner und stempelt meine, natürlich vorher zu Hause schon ausgearbeitete Notenübersicht. In schlechtem Deutsch mit starkem russischen Akzent weißt sie mich noch darauf hin, dass sie das eigentlich nicht darf. Das ist mir egal.
Außer mir vor Freude tanze ich mit meinem gestempelten Zettel an der nicht kürzer werdenden Schlange nach Hause. 
Jetzt muss ich zum Hautarzt. Die Wartezeit wird ähnlich lang. Ich habe Frank Schätzing dabei. Und Brote.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen