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Montag, 21. Oktober 2013

Wie spät ist es?



Wenn ich übers Wochenende nach Berlin reise, um meine Eltern und Freunde zu besuchen, habe ich nie genug Zeit. 

Egal wofür. 

Es gibt immer jemanden, den ich nicht schaffe zu treffen, eine Party, die ich verpasse, einen Kaffee, den ich nicht trinken kann. Der ewige Begleiter, des Weggezogenen beim Heimatbesuch, ist die tickende Uhr. Bei mir startet das Ticken meistens Donnerstagabend gegen zehn und tickt bis Montagmorgen um sechs.  Mal tickt es lauter, mal leiser, je nachdem wie lange ich bleibe, wie viel es zu tun gibt, ob Sommer ist, oder mein Vater Geburtstag hat.
Aber egal wie laut die Uhr tickt, fast jeder Besuch ist ein Spagat zwischen dem elterlichen Frühstückstisch, dem Sofa der Freundin, preislich attraktiven Shopping-Möglichkeiten, dem Opa, einer durchtanzten Nacht, sämtlichen Vorsorgeuntersuchungen, alten Bekannten, Mittag mit Mama und dem Wunsch auch mal auszuschlafen, denn es ist ja auch mein Wochenende. 

Ich will alles schaffen und scheitere jedes Mal ein wenig. Je besser ich plane umso katastrophaler wird es, und ich werde jedes Mal nur gerettet, durch spontane, verständnisvolle Freunde, die ihren Kalender offen halten und so die 45 Minuten zwischen Prophylaxe und  Leberfleck-Screening mit Klatsch und Tratsch füllen. Ich hätte so gern mehr Zeit, für die kleinen Dinge, die allerdings nur passieren, wenn man Zeit hat. Aber die verpasse ich ja meistens, weil ich keine habe und wieder los und weiter muss. 

Deswegen freue ich mich immer sehr, wenn jemand zu Besuch kommt-in Dänemark. Meinen Besuch überschütte ich dann von morgens bis abends mit Liebe und Aufmerksamkeit. Wir erleben kleine Dinge zwischen den Großen und essen im Schlafanzug Frühstück im Wohnzimmer. Ich sehe meine Freundinnen ungeschminkt und koche mit ihnen ein Phantasiegericht . Meine Schwester und ich sehen bescheuerte Serien und putzen Schuhe. Aber auch da tickt die Uhr. Irgendwann ist Sonntag und der Besuch muss fahren und ich habe das Gefühl wieder was nicht geschafft zu haben. 

Tja, da müsst ihr wohl mal wieder kommen-sage ich. Ja, sagen die anderen, aber jetzt kommst du erst mal wieder nach Berlin. Ist klar.

Wenn der Besuch weg ist, oder ich wieder zu Hause bin, mit deutschem Käse im Kühlschrank und schwerem Herzen,  dann liege ich manchmal traurig im Bett und wünsche mir die Uhr würde nicht ständig ticken. Dann stelle ich mir vor, dass die Zeit stehen bleibt- allerdings während ich aufs Klo muss, Zahnschmerzen habe und es gerade regnet.  Immerhin bedeutet das Konzept der immer voranschreitenden Zeit ja auch, dass der nächste Besuch bald kommt oder ich wieder nach Berlin fahre. Tja, wer das eine will, muss das andere mögen. 

Vielleicht, wenn ich das Ticken akzeptiere, tickt es lautlos und ich muss es nicht mehr hören.

Eine Armbanduhr trage ich schon lange nicht mehr.

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